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Tod in Breslau

Tod in Breslau

Titel: Tod in Breslau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marek Krajewski
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Verstorbenen. Sie sagte auch
    aus, dass Frau Schlossarczyk keine Verwandten und au-
    ßer ihr keine Freundinnen gehabt habe. Der einzige
    Mensch, mit dem sie sonst korrespondiere, sei ein Kauf-
    mann aus Poznań, dessen Namen sie nicht preisgab. Eine
    Nachbarin äußerte den Verdacht, dass es sich bei dem
    Kaufmann um einen ehemaligen Geliebten der Hanna
    Schlossarczyk handelte.
    Anwaldt fühlte eine bleierne Müdigkeit, und um sie zu
    vertreiben, zog er die letzte Zigarette aus dem Päckchen.
    Während er rauchte, ging er noch einmal Banaszaks
    penible Notizen durch. Er verstand nichts davon, denn es
    handelte sich um gerade jene halbe Seite Polnisch, die der Kommissar noch nicht übersetzt hatte. Anwaldt starrte
    den Text fasziniert an. Schon oft hatte er sich über die
    merkwürdigen diakritischen Zeichen dieser Sprache den
    Kopf zerbrochen; das Häkchen an den »a« und »e«, der
    gewellte Strich durch das »l«, die schrägen Akzente auf
    den »s«, »z«, »n« und »o« … Inmitten dieser Buchstaben
    stieß er zweimal auf seinen Namen. Aber nicht das war
    es, was ihn verwunderte, denn Banaszak hatte sich, wegen
    der Übergabe des Falles an die deutsche Polizei, öfter auf Anwaldts Aussagen berufen. Interessanter schien ihm der
    orthografische Fehler beim Schreiben seinen Namens –
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    immer fehlte das t. Anwaldt setzte schon den Stift an, um
    den fehlenden Buchstaben einzufügen, doch dann hielt er
    inne. Ein Tintentropfen fiel von der Feder auf das grüne
    Tischtuch und breitete sich schnell darauf aus. Anwaldt
    konnte die Augen nicht von seinem Namen wenden, der
    dort in dem polnischen Wirrwarr mit all den Häkchen
    und Strichen herumschwamm. Und es war nur sein
    Nachname, der polnische Vorname, der immer wieder
    daneben auftauchte, kam ihm völlig unbekannt vor, er
    klang fremd, fast ein wenig stolz – »Mieczysław«.
    Anwaldt stand auf und begab sich in die Revierstube
    des Kommissariats, wo hinter einer hölzernen Absper-
    rung ein schläfriger Wachmann herbeischlurfte. Dessen
    Kollege, ein älterer Polizist, der sicherlich kurz vor der Pensionierung stand, scherzte mit einem der arretierten
    Freudenmädchen in geblümtem Rock. Es stellte sich he-
    raus, dass der Alte ein wenig Deutsch konnte. Anwaldt
    berief sich auf Kommissar Banaszak und bat ihn, die No-
    tizen zu übersetzen. Sie gingen zurück ins Verhörzimmer,
    und der Polizist begann den Text zusammenzustückeln.
    »Nach den Aussagen von Walenty Mikołajczak … trug
    er Briefe der Schlossarczykowa aufs Postamt … Er las
    und beabsichtigte den Namen des Adressierten … nein,
    wie sagt man da?«
    »Adressat. Was meinen Sie mit ›beabsichtigte‹?«
    »Ja … Adressat. Mit ›beabsichtigte‹ meinte ich, dass er
    hatte im Sinn, er erkannte. Also Adressat: Mieczysław An-
    waldt, Poznań, ul. Mickiewicza 2. Walenty Mikołajczak hat
    sich verwundert, dass sie Briefe an die Ladenadresse
    schickt. Der Name der Firma klingt …«
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    »Sie meinen wohl: Der Name lautet.«
    »Ja, der Name der Firma lautet Seidenwaren,
    Mieczysław Anwald und Genossen. Dann steht da noch
    …. hmm, … ich weiß nicht recht, irgendwas mit einem
    Fotoalbum … he, was ist mit Ihnen? Eingeschlafen! Na so
    was!«
    Der Polizist legte erleichtert den Text beiseite, ging aus dem Zimmer und überließ Anwaldt sich selbst. Als er die
    Tür schloss, warf er noch einen besorgten Blick auf den
    übermüdeten deutschen Polizisten, dessen Stirn auf das
    kratzige grüne Tischtuch gesunken war.
    Er hatte sich geirrt. Anwaldt war keineswegs einge-
    schlafen. Mit geschlossenen Augen konnte er besser in
    die Vergangenheit und an einen anderen Ort zurückkeh-
    ren. Jetzt saß er im Büro von Franz Huber, dem alten De-
    tektiv gegenüber. In dem holzvertäfelten Raum tanzten
    winzige Staubpartikel in der Luft und legten sich in einer flockigen Schicht auf die dicken Ordner und die Wech-selrahmen, in denen alte Fotografien vergilbten. Huber
    klopfte mit seiner geschnitzten Zigarettenspitze auf die
    Tischplatte und stieß zögernd Wort für Wort hervor:
    »Zu der Zeit ist Frau Schlossarczyk wohl schwanger
    geworden … Wie ihr Sohn heißt, ist nicht bekannt. Be-
    stimmt nicht wie der Baron … Und wo dieser Bankert
    letztendlich abgeblieben ist, das weiß niemand. Man weiß
    lediglich, dass er bis zur Volljährigkeit in einem Berliner Waisenhaus gelebt hat.«
    »Welches Waisenhaus war das?«
    »Das weiß sie selber nicht mehr. Irgendein Bekannter,
    ein polnischer Kaufmann, hat ihn

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