Tod in Breslau
Verstorbenen. Sie sagte auch
aus, dass Frau Schlossarczyk keine Verwandten und au-
ßer ihr keine Freundinnen gehabt habe. Der einzige
Mensch, mit dem sie sonst korrespondiere, sei ein Kauf-
mann aus Poznań, dessen Namen sie nicht preisgab. Eine
Nachbarin äußerte den Verdacht, dass es sich bei dem
Kaufmann um einen ehemaligen Geliebten der Hanna
Schlossarczyk handelte.
Anwaldt fühlte eine bleierne Müdigkeit, und um sie zu
vertreiben, zog er die letzte Zigarette aus dem Päckchen.
Während er rauchte, ging er noch einmal Banaszaks
penible Notizen durch. Er verstand nichts davon, denn es
handelte sich um gerade jene halbe Seite Polnisch, die der Kommissar noch nicht übersetzt hatte. Anwaldt starrte
den Text fasziniert an. Schon oft hatte er sich über die
merkwürdigen diakritischen Zeichen dieser Sprache den
Kopf zerbrochen; das Häkchen an den »a« und »e«, der
gewellte Strich durch das »l«, die schrägen Akzente auf
den »s«, »z«, »n« und »o« … Inmitten dieser Buchstaben
stieß er zweimal auf seinen Namen. Aber nicht das war
es, was ihn verwunderte, denn Banaszak hatte sich, wegen
der Übergabe des Falles an die deutsche Polizei, öfter auf Anwaldts Aussagen berufen. Interessanter schien ihm der
orthografische Fehler beim Schreiben seinen Namens –
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immer fehlte das t. Anwaldt setzte schon den Stift an, um
den fehlenden Buchstaben einzufügen, doch dann hielt er
inne. Ein Tintentropfen fiel von der Feder auf das grüne
Tischtuch und breitete sich schnell darauf aus. Anwaldt
konnte die Augen nicht von seinem Namen wenden, der
dort in dem polnischen Wirrwarr mit all den Häkchen
und Strichen herumschwamm. Und es war nur sein
Nachname, der polnische Vorname, der immer wieder
daneben auftauchte, kam ihm völlig unbekannt vor, er
klang fremd, fast ein wenig stolz – »Mieczysław«.
Anwaldt stand auf und begab sich in die Revierstube
des Kommissariats, wo hinter einer hölzernen Absper-
rung ein schläfriger Wachmann herbeischlurfte. Dessen
Kollege, ein älterer Polizist, der sicherlich kurz vor der Pensionierung stand, scherzte mit einem der arretierten
Freudenmädchen in geblümtem Rock. Es stellte sich he-
raus, dass der Alte ein wenig Deutsch konnte. Anwaldt
berief sich auf Kommissar Banaszak und bat ihn, die No-
tizen zu übersetzen. Sie gingen zurück ins Verhörzimmer,
und der Polizist begann den Text zusammenzustückeln.
»Nach den Aussagen von Walenty Mikołajczak … trug
er Briefe der Schlossarczykowa aufs Postamt … Er las
und beabsichtigte den Namen des Adressierten … nein,
wie sagt man da?«
»Adressat. Was meinen Sie mit ›beabsichtigte‹?«
»Ja … Adressat. Mit ›beabsichtigte‹ meinte ich, dass er
hatte im Sinn, er erkannte. Also Adressat: Mieczysław An-
waldt, Poznań, ul. Mickiewicza 2. Walenty Mikołajczak hat
sich verwundert, dass sie Briefe an die Ladenadresse
schickt. Der Name der Firma klingt …«
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»Sie meinen wohl: Der Name lautet.«
»Ja, der Name der Firma lautet Seidenwaren,
Mieczysław Anwald und Genossen. Dann steht da noch
…. hmm, … ich weiß nicht recht, irgendwas mit einem
Fotoalbum … he, was ist mit Ihnen? Eingeschlafen! Na so
was!«
Der Polizist legte erleichtert den Text beiseite, ging aus dem Zimmer und überließ Anwaldt sich selbst. Als er die
Tür schloss, warf er noch einen besorgten Blick auf den
übermüdeten deutschen Polizisten, dessen Stirn auf das
kratzige grüne Tischtuch gesunken war.
Er hatte sich geirrt. Anwaldt war keineswegs einge-
schlafen. Mit geschlossenen Augen konnte er besser in
die Vergangenheit und an einen anderen Ort zurückkeh-
ren. Jetzt saß er im Büro von Franz Huber, dem alten De-
tektiv gegenüber. In dem holzvertäfelten Raum tanzten
winzige Staubpartikel in der Luft und legten sich in einer flockigen Schicht auf die dicken Ordner und die Wech-selrahmen, in denen alte Fotografien vergilbten. Huber
klopfte mit seiner geschnitzten Zigarettenspitze auf die
Tischplatte und stieß zögernd Wort für Wort hervor:
»Zu der Zeit ist Frau Schlossarczyk wohl schwanger
geworden … Wie ihr Sohn heißt, ist nicht bekannt. Be-
stimmt nicht wie der Baron … Und wo dieser Bankert
letztendlich abgeblieben ist, das weiß niemand. Man weiß
lediglich, dass er bis zur Volljährigkeit in einem Berliner Waisenhaus gelebt hat.«
»Welches Waisenhaus war das?«
»Das weiß sie selber nicht mehr. Irgendein Bekannter,
ein polnischer Kaufmann, hat ihn
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