Tod in Breslau
Breslau,
repräsentiert durch Kriminalassistent Anwaldt, und dem
staatlichen Polizeipräsidium in Poznań, in dessen Namen
Kommissar Ferdynand Banaszak agierte, aufgeteilt wor-
den war. Die Begründung hierfür war lang und kompli-
ziert, ihr lagen die Aussagen Anwaldts zu Grunde.
Das Protokoll und Banaszaks deutsche Übersetzung,
von beiden Polizisten unterschrieben, sollten am Morgen
des folgenden Tages ebenfalls durch den Polizeipräsiden-
ten in Poznań abgezeichnet werden. Banaszak versicherte,
dass es sich dabei um eine reine Formalität handele, und
gab Anwaldt zum Abschied die Hand. Er freute sich sicht-
lich über die Wendung, die der Fall genommen hatte.
»Ich kann nicht verhehlen, dass ich am liebsten diese
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ganze stinkende Sache auf Ihre Schultern abwälzen wür-
de, Herr Anwaldt. Aber das muss ich gar nicht tun. Es ist
sowieso eine Geschichte, die hauptsächlich Sie angeht.
Eine Sache zwischen diesem Türken und euch Deut-
schen. Und hauptsächlich Sie werden ja nun weiterermit-
teln. Adieu. Wollen sie wirklich noch bis in den Morgen
hinein über dem Protokoll brüten? Ich muss noch eine
halbe Seite übersetzen. Das werde ich morgen für Sie er-
ledigen. Für heute bin ich zu müde. Sie werden noch viel
Spaß mit diesem Fall haben!«
Noch lange konnte man sein schallendes Gelächter im
Flur hören. Anwaldt trank einen Schluck des bereits kal-
ten, aber starken Kaffees und machte sich wieder an die
Lektüre der Akte. Er spürte einen säuerlichen Geschmack
im Mund, und ihm war übel – das Übermaß an Kaffee
und Zigaretten zeigte seine Wirkung. Noch dazu sprach
Kommissar Banaszak zwar fließend deutsch (er hatte
Anwaldt erzählt, dass er von 1905 bis zum Ausbruch des
Krieges bei der preußischen Kriminalpolizei in Poznań
gedient hatte), aber das Schreiben beherrschte er nur un-
zureichend. Einzig in der polizeilichen Fachterminologie
und ihren üblichen Floskeln war er sattelfest, sein übriger Wortschatz schien recht dürftig – was zusammen mit den
zahlreichen grammatikalischen Fehlern ein kurioses
Kauderwelsch ergab. Anwaldt amüsierte sich königlich
über die kurzen, ungeschlachten Sätze. Doch er störte
sich nicht an dem schlechten Stil. Das Wichtigste war,
dass er den Inhalt verstand, dass sich nämlich bei Walen-
ty Mikołajczak, dem Hausmeister des Anwesens, in dem
die Ermordete gelebt hatte, am 16. Juli um neun Uhr
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vormittags »ein eleganter, grusinisch aussehender« Un-
bekannter auf Deutsch nach der Wohnung Hanna
Schlossarczyks erkundigt hatte. Aus den Erläuterungen
des Hausmeisters ging hervor, dass er unter »grusini-
schem Aussehen« schwarzes Haar und olivfarbenen Teint
verstand. Er hatte dem Fremden die Auskunft gegeben
und sich dann wieder seiner Arbeit zugewandt – er war
gerade dabei gewesen, die Käfige zu reparieren, in denen
einige der Mieter Kaninchen hielten. Doch der nicht ge-
rade alltägliche Besuch hatte ihm keine Ruhe gelassen,
denn Frau Schlossarczyk lebte überaus zurückgezogen.
Noch nie hatte sich jemand nach ihr erkundigt. Also war
er ab und zu vor ihre Wohnungstür getreten und hatte
gelauscht, dabei jedoch nichts Verdächtiges hören oder
sehen können. Etwa um zehn Uhr hatte er Durst be-
kommen und war in die benachbarte »Rathaus-Schenke«
ein Bier trinken gegangen. Als er um halb zwölf zurück-
gekehrt war, hatte er an die Tür von Frau Schlossarczyk
geklopft. Er hatte sich über das offene Fenster gewundert, denn Frau Schlossarczyk war eine recht wunderliche alte
Jungfer, die ihre Fenster nie öffnete – aus Furcht vor
Durchzug und vor Mördern. Vor Letzteren besonders
wegen ihres Rufs als »reiche Dame«. Wie Mikołajczak
ausführte, wussten alle, dass Frau Schlossarczyk über eine ebenso hohe Apanage wie der Bürgermeister verfügte.
Da niemand auf sein Klopfen antwortete, öffnete der
Hauswart die Tür mit seinem Generalschlüssel. Der An-
blick, der sich ihm bot, war Grauen erregend: In einem
hölzernen Waschtrog lag die zerstückelte Leiche von Frau
Schlossarczyk. Er verständigte unverzüglich die Polizei,
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und drei Stunden später war auch Kommissar Banaszak
mit fünf Untersuchungsbeauftragten zur Stelle. Diese
stellten fest, dass der Tod durch Verbluten eingetreten
war. Und sie fanden nichts, was auf einen Raubmord
hingewiesen hätte. Aus der Wohnung war außer einem
Fotoalbum nichts verschwunden, das versicherte Aniela
Sikorowa, eine Freundin der
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