Tod in Breslau
einbrechende Dunkelheit
hatte die Einwohner nach draußen gelockt. Ganze Hor-
den von Halbwüchsigen zogen lärmend durch die Stra-
ßen und pöbelten die einherstolzierenden Mädchen an.
In den kalkgeweißten Hauseingängen saßen auf niedri-
gen Schemeln die Frauen, um zu schwatzen, und vor den
Lokalen standen schnurrbärtige Männer in eng sitzenden
Westen, die über ihren Humpen mit schäumendem Bier
über die polnische Außenpolitik debattierten.
Direkt neben einer solchen Gruppe kam die Droschke
zum Stehen. Anwaldt warf dem Kutscher eine Hand voll
Münzen hin und betrachtete neugierig das Haus, vor dem
er nun stand. Rynkowa 3.
Er trat zum Tor und suchte den Hausmeister. Doch
statt eines Hausmeisters kamen zwei Männer in Hüten
auf Anwaldt zu. Beide sahen sehr entschlossen drein und
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stellten Anwaldt offenbar eine Frage, doch er bedeutete
ihnen mit einer Geste, dass er nichts verstanden habe.
Auf Deutsch nannte er ihnen das Ziel seiner Suche. Dabei
fiel der Name Hanna Schlossarczyk. Und das hatte auf
die Männer eine erstaunliche Wirkung. Schweigend ga-
ben sie den Weg frei und winkten ihm, er solle nach oben
kommen. Anwaldt stieg ein wenig unsicher die solide
Holztreppe in den ersten Stock hinauf, wo es zwei kleine-
re Wohnungen gab. Eine Tür stand offen, das Licht
brannte, im Vorzimmer drängten sich einige Männer, die
den Eindruck erweckten, als seien sie durch nichts in
Verlegenheit zu bringen. Anwaldts Instinkt täuschte ihn
nicht: So sahen Polizisten aus, ganz gleich, in welchem
Teil der Welt man sich befand.
Einer der beiden Schutzmänner schob Anwaldt sanft
in die hell erleuchtete Wohnung und wies ihn in eine
lang gezogene Küche. Dort setzte sich Anwaldt an den
kleinen Holztisch und steckte sich eine Zigarette an. Aber noch bevor er sich umsehen konnte, betrat ein mittelgro-
ßer, eleganter Herr die Küche, er war in Begleitung eines
schmuddeligen, schnurrbärtigen Mannes, der einen Be-
sen trug. Der Hauswart warf einen Blick auf Anwaldt und
dann auf den anderen, schüttelte verneinend den Kopf
und ging wieder hinaus. Der Beamte trat jedoch zu Anwaldt an den Tisch und warf ihm in tadellosem Deutsch
ein paar Fragen hin.
»Dokumente? Vor- und Nachname? Grund Ihres
Kommens?«
Anwaldt reichte dem Mann seinen Pass und antwortete:
»Kriminalassistent Anwaldt, Polizeipräsidium Breslau.«
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»Haben Sie irgendwelche Verwandten in Poznań?«
»Nein.«
»Was ist der Grund Ihres Kommens?«
»Ich suche zwei Mordverdächtige, die vermutlich
Hanna Schlossarczyk aufsuchen wollten. Und jetzt wüsste
ich gerne, wer mich verhört.«
»Kommissar Ferdinand Banaszak von der Poznańer
Polizei. Ihren Dienstausweis.«
»Bitte sehr.« Anwaldt bemühte sich, seine Stimme fest
klingen zu lassen. »Abgesehen davon, was ist das für ein
Verhör? Bin ich etwa ein Verdächtiger? Darf ich Hanna
Schlossarczyk nicht wenigstens in einer privaten Sache
sprechen?«
Banaszak lachte laut auf.
»Na, raus mit der Sprache, in welcher privaten Sache
Sie sie sprechen wollen, oder Sie bekommen ein kleines
Privatzimmer in dem Gebäude, für das unsere Stadt in
ganz Polen berühmt ist.« Er hatte noch immer nicht zu
lachen aufgehört.
Anwaldt verstand. Wenn ein Polizist aus der größten
Stadt Westpolens in diesem Nest auftauchte, dann musste
es einen ernsten Grund dafür geben. Ohne Umschweife
erzählte er Banaszak alles, nur warum Erkin und Maass
den unehelichen Sohn von Frau Schlossarezyk suchten,
verschwieg er. Der Kommissar sah Anwaldt beinahe er-
leichtert an.
»Sie haben gefragt, ob Sie mit Hanna Schlossarezyk
sprechen können. Ich muss Ihnen leider antworten, dass
das nicht möglich ist. Jemand hat ihr heute Morgen mit
einer Axt den Schädel eingeschlagen. Und von dem Täter
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kann der Hausmeister nichts weiter berichten, als dass er
ein deutsch sprechender Grusine ist.«
Poznań, Dienstag, 17. Juli 1934.
Drei Uhr früh
Anwaldt streckte seine eingeschlafenen Glieder. In dem
kühlen Verhörzimmer des Poznańer Polizeipräsidiums
an der Ulica Maja 3 fiel das Atmen gleich viel leichter.
Banaszak hatte seine Übersetzung der Akte Hanna
Schlossarezyk ins Deutsche beinahe beendet und schickte
sich an zu gehen. Nachdem sie von Rawicz nach Poznań
gefahren waren, hatten sie fast die halbe Nacht damit
verbracht, das Protokoll zu ordnen. Ihren Aufzeichnun-
gen war zu entnehmen, dass die Fahndung im Fall
Schlossarezyk zwischen den Polizeipräsidien in
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