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Tod in den Anden

Tod in den Anden

Titel: Tod in den Anden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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ausbrechen ließ, und ihm ein Gläschen Pisco in die Hand drückte.
    »Prost, Prost.« Er forderte ihn auf, mit ihm anzustoßen. »Mach es wie die anderen, kleiner Stummer.«
    »Er ist unschuldig, er ist rein, er ist fremd, er ist gezeichnet seit der Geschichte in Pampa Galeras«, psalmodierte Señora Adriana. »Früher oder später werden die Terroristen ihn hinrichten. Wenn er ohnehin sterben muß, dann besser für etwas, das sich lohnt. Lohnt ihr es etwa nicht? So viele, die bewußtlos hier in den Baracken schlafen, so viele, die tot vor Erschöpfung sind, weil sie sich die Knochen im Straßenbau ruinieren, lohnen sie nicht? Macht eure Rechnung auf und entscheidet.«
    Während die brennende Wärme ihm die Brust hinunterkroch und ihn im Magen kitzelte, merkte Pedrito Tinoco, wie unter seinen schlammverschmierten Gummisandalen und seinen grindigen Füßen der Boden nachgab und sich bewegte. Wie ein Kreisel. Er hatte irgendwann, irgendwo gewußt, wie man die Kreisel zum Tanzen brachte, sie mit einer Schnur umwickelte und sie mit einer geschickten, peitschenden Bewegung des Arms von sich schleuderte: Sie drehtensich in der Luft, bis ihre Farben miteinander verschwammen, bis sie wie Kolibris wirkten, die reglos in der Luft flatterten, eine Kugel, die zur Sonne aufstieg und dann herabsank. Mit seiner Nagelspitze landete der Kreisel auf der steinernen Umfassung des Wassergrabens, machte einen Satz auf den Rand der Bank, kam zur Ruhe auf dem Steinsitz an der Haustür oder dort, wo er vorher hingeschaut, wo seine Hand die Schnur hingeführt hatte. Dort tanzte er eine ganze Weile, hüpfend und summend, glücklicher kleiner Kreisel. Doña Adriana sprach, und einige Köpfe nickten. Ein paar Arbeiter bahnten sich mit den Ellenbogen einen Weg, näherten sich dem Stummen und berührten ihn. Ihre Angst war nicht verflogen, im Gegenteil. Pedrito Tinoco fühlte sich nicht mehr so verlegen wie bei seiner Ankunft. Er hielt noch immer die Geldscheine fest in seiner Hand, und tief im Innern schrak er ab und zu heftig zusammen und sagte sich: ›Ich muß zurück.‹ Aber er wußte nicht, wie er gehen sollte. Kaum nahm er einen kleinen Schluck Pisco, applaudierte ihm der Wirt, klopfte ihm auf die Schulter und küßte ihn ab und zu in einem Anfall von Begeisterung auf die Wange.
    »Das waren wohl Judasküsse, die Sie ihm da gegeben haben«, sagte Lituma. »Und währenddessen habe ich geschnarcht oder Tomasitos Schmonzes über seine Braut zugehört. Sie hatten Glück, Dionisio, Doña Adriana. Wenn ich in der Kantine aufgetaucht wäre und Sie in flagranti erwischt hätte, dann weiß ichnicht, was mit Ihnen geworden wäre, das schwör ich Ihnen.«
    Er sagte es ohne Zorn, voll Fatalismus und Resignation. Doña Adriana saß noch immer in sich versunken da, ohne ihn zu beachten, den Blick auf die Arbeiter gerichtet, die die Trümmer beiseite räumten. Aber Dionisio brach in Lachen aus, mit weit offenem Mund. Er hatte sich hingehockt, und der Wollschal ließ seinen Hals zu monströser Dicke schwellen. Er schaute Lituma amüsiert an, während er mit seinen hervorspringenden Augen blinzelte, die weniger gerötet waren als sonst.
    »Sie wären ein guter Märchenerzähler geworden«, sagte er im Brustton der Überzeugung. »Ich hatte einige in meiner Truppe, als junger Mann. Als wir von Dorf zu Dorf, von Markt zu Markt zogen. Tänzer, Musiker, Seiltänzer, Zauberer, Monstren, alles gab es. Auch Geschichtenerzähler. Sie hatten großen Erfolg, groß und klein hörte ihnen mit offenem Mund zu, und sie veranstalteten großes Gezeter, wenn das Ende der Geschichte kam. ›Weiter, weiter, bitte.‹ ›Noch eine, noch eine.‹ Sie wären einer meiner Stars gewesen, bei Ihrer Phantasie. Fast so gut wie Adriana, mein Herr Korporal.«
    »Er kann nichts mehr schlucken, er ist schon groggy. Der kriegt keinen Tropfen mehr rein«, sagte jemand mit leiernder Stimme.
    »Kipp ihm das Zeug mit Gewalt rein, und wenn er kotzt, dann soll er kotzen«, flehte eine sehr verängstigteStimme. »Er soll nichts fühlen, er soll vergessen, wer er ist und wo er ist.«
    »Da wir von Stummen reden, in einigen Dörfern in der Provinz La Mar in Ayacucho gibt man denen, die nicht sprechen können, Papageienzunge zu essen«, sagte Dionisio. »So heilt man sie von der Stummheit. Das haben Sie bestimmt nicht gewußt, mein Herr Korporal.«
    »Du wirst uns doch verzeihen, nicht wahr, padrecito ?« flüsterte in Quechua, heiser und voll Schmerz, ein Mann, dem kaum die Worte von den Lippen

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