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Tod in den Anden

Tod in den Anden

Titel: Tod in den Anden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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dich verlassen hat, kaum daß sie ihre Papiere hatte?«
    »Mit den viertausend Dollar, die ich ihr geschenkt hatte«, sagte sein Amtshelfer ganz langsam. »Sie gehörten ihr, ich hatte sie ihr gegeben. Sie hinterließ mir einen Brief, in dem sie mir sagte, was sie mir schon so oft gesagt hatte. Daß sie keine Frau für mich sei, daß ich schon darüber hinwegkommen würde, die ewige Leier.«
    »Das war also das Desaster«, sagte Lituma. »Scheiße, Tomasito.«
    »Ja, Herr Korporal«, sagte sein Amtshelfer. »Das war das Desaster.«

IX
    »Der Typ heißt Paul und hat einen merkwürdigen Nachnamen, Stirmsson oder Stirmesson«, sagte Lituma. »Aber alle kennen ihn bei seinem Spitznamen: Scharlach. Er war einer von denen, die wie durch ein Wunder davonkamen, als die Terroristen La Esperanza besetzten. Er hat mir erzählt, daß er Sie beide gut gekannt hat. Erinnern Sie sich an diesen Gringo?«
    »Ein Vielfrager, der alles über alles wissen wollte«, sagte Doña Adriana, angewidert das Gesicht verziehend. »Er hatte immer ein Heft bei sich, in das er kritzelte. Er ist schon lange nicht mehr hier gewesen. Er war also einer von denen, die sich im Wassertank versteckt haben?«
    »Er war aufdringlich, er hat uns studiert, als wären wir Pflanzen oder Tiere.« Dionisio spuckte aus. »Er hat mich durch die ganzen Anden verfolgt. Wir haben ihn nicht als Personen interessiert, er wollte uns nur in seine Bücher bringen. Lebt er noch, dieser Scharlach, dieser Stinkefuß von einem Gringo?«
    »Auch er hat sich gewundert, als er erfuhr, daß Sie beide noch leben«, erklärte Lituma. »Er glaubte, die Terroristen hätten Sie längst als Asoziale hingerichtet.«
    Sie unterhielten sich in der Tür der Kantine, untereiner senkrechten, grellweißen Sonne, die sich im Wellblech der unversehrten Baracken spiegelte. Gruppen von Arbeitern räumten mit Brettern, Bohrern, Stricken, Hacken und Schaufeln einige Gesteinsbrocken des huayco beiseite und versuchten, einen Weg freizulegen, auf dem sie die von der Lawine nicht zerstörten oder beschädigten Maschinen aus dem Lager schaffen konnten. Trotz der Betriebsamkeit, die in dem Häuschen herrschte, in dem man ein Büro improvisiert hatte – als Ersatz für das alte, von den Steinen demolierte –, schien Naccos sich geleert zu haben. Nicht einmal ein Drittel der Arbeiter befand sich noch im Dorf. Sie zogen noch immer fort; dort zum Beispiel, auf dem kleinen Pfad, der sich zum Weg nach Huancayo hinaufwand, erkannte Lituma drei Gestalten, die sich im Gänsemarsch entfernten, Lasten auf dem Rücken. Sie gingen rasch und im Gleichschritt, als würden sie das Gewicht, das sie trugen, nicht spüren.
    »Dieses Mal haben sie sich einfach damit abgefunden, fortzugehen«, sagte er und deutete auf sie. »Ohne Streiks und ohne Proteste.«
    »Sie wissen, daß es vergeblich wäre«, erwiderte Dionisio ungerührt. »Der huayco kam dem Unternehmen gut zupaß. Es wollte schon lange die Arbeiten einstellen. Jetzt hat es den Vorwand.«
    »Es ist kein Vorwand«, sagte der Korporal. »Sehen Sie sich das hier an. Was für eine Straße sollen sie bauen, nachdem ein ganzer Berg auf Naccos herabgestürztist? Ich versteh nicht, wie es sein kann, daß bei einer derartigen Katastrophe kein Mensch ums Leben gekommen ist.«
    »Genau das ist es, was ich diesen starrköpfigen Indios beizubringen versuche«, brummte Doña Adriana, während sie eine mißlaunige Bewegung hin zu den Männern machte, die die Felsbrocken beiseite räumten. »Wir hätten alle sterben können, plattgedrückt wie Kakerlaken. Und statt dafür zu danken, daß sie unverletzt sind, protestieren sie noch.«
    »Sie haben den huayco überlebt, aber sie wissen, daß sie jetzt ganz langsam sterben werden, weil es keine Arbeit gibt, an Hunger«, sagte Dionisio, kurz auflachend. »Oder an schlimmeren Dingen. Sollen sie wenigstens protestieren dürfen.«
    »Glauben Sie, daß die Lawine uns nicht begraben hat, weil die apus dieser Berge es so beschlossen haben?« fragte der Korporal, wobei er den Blick Doña Adrianas suchte. »Muß auch ich ihnen danken, daß ich davongekommen bin?«
    Er erwartete, daß Dionisios Frau ihm unfreundlich antworten würde, er käme ihr allmählich wie ein Spinner vor mit seiner ewiggleichen Geschichte, aber dieses Mal blieb die Hexe stumm und schaute ihn nicht an. Mit gerunzelter Stirn und verdrossen richtete sie einen halb verlorenen Blick auf die steilen Gipfel, die die Ortschaft umgaben.
    »Ich habe mit Scharlach über die apus

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