Tod in den Anden
zurückkehren sollten; und er sah die ersten, die klagend, blutüberströmt zusammenbrachen, mit offenem Rücken, gespaltenen Knochen, die Mäuler, Augen, Ohren von den Kugeln abgerissen. Einige stürzten und kamen wieder hoch und stürzten abermals, undandere standen wie versteinert, den Hals gereckt, als wollten sie abheben und durch die Luft fliehen. Einige Weibchen hatten sich heruntergebeugt und leckten die verletzten Jungtiere. Er war ebenfalls gelähmt, schaute, versuchte zu begreifen, sein Kopf von einer Seite zur anderen, mit weit aufgerissenen Augen, herabhängendem Mund, die Ohren gequält von den Schüssen und den Klagelauten, die schlimmer waren als die der Weibchen, wenn sie niederkamen.
»Daß ihr ihn ja nicht trefft!« brüllte von Zeit zu Zeit der Kind-Mann. »Vorsicht, Vorsicht!«
Sie schossen nicht nur auf sie, einige liefen den Tieren, die zu entkommen suchten, auch entgegen, umzingelten sie, trieben sie in die Enge und machten ihnen mit Kolbenhieben und Messerstichen den Garaus. Pedro Tinoco reagierte schließlich. Er hüpfte auf der Stelle, brüllte aus Brust und Bauch, ließ die Arme wie Propeller kreisen. Er lief vor, lief zurück, stellte sich zwischen ihre Waffen und die Vikunjas, flehte sie an mit seinen Händen und seinen Schreien und der Empörung seiner Augen. Sie schienen ihn nicht zu sehen. Sie schossen weiter und verfolgten die Tiere, die entkommen konnten und sich durch das Punagras entfernten, in Richtung auf die Schlucht. Als er zu dem Kind-Mann gelangte, kniete er nieder und versuchte, ihm die Hand zu küssen, aber der stieß ihn wütend beiseite:
»Tu das nicht!« schimpfte er. »Weg, geh zur Seite!«
»Es ist ein Befehl der Führung«, sagte ein anderer,der nicht wütend war. »Das hier ist ein Krieg. Du kannst das nicht verstehen, kleiner Stummer, du kannst das nicht begreifen.«
»Weine um deine Brüder, weine um die Leidenden«, riet ihm ein Mädchen, um ihn zu trösten. »Weine lieber um die Ermordeten und Gefolterten. Um die, die im Gefängnis sitzen, um die Märtyrer, um die, die sich geopfert haben.«
Er ging von einem zum anderen und versuchte immer wieder, ihnen die Hände zu küssen, flehend, auf den Knien. Einige schoben ihn freundlich beiseite, andere voll Ekel.
»Hab ein bißchen Stolz, hab etwas mehr Würde«, sagten sie zu ihm. »Denk zuerst an dich statt an die paar Vikunjas.«
Sie schossen auf sie, liefen ihnen nach, töteten die Tiere, die im Todeskampflagen. Pedro Tinoco schien, als würde es niemals Abend werden. Einer von ihnen ließ zwei Jungtiere, die still neben der toten Mutter verharrt hatten, mit einer Sprengpatrone hochgehen. Die Luft füllte sich mit Geruch nach Pulver. Pedro Tinoco verließen die Käfte, um weiter zu weinen. Zu Boden gesunken, mit offenstehendem Mund schaute er den einen, schaute er den anderen an und versuchte die ganze Zeit, zu begreifen. Nach einer Weile trat der Junge mit dem grausamen Ausdruck zu ihm.
»Wir machen das nicht gern«, sagte er mit veränderter Stimme, während er ihm eine Hand auf die Schulter legte. »Es ist ein Befehl der Führung. Das hier istein Reservat des Feindes. Unseres und deines Feindes. Ein Reservat, das der Imperialismus erfunden hat. Im Rahmen seiner weltweiten Strategie ist dies die Rolle, die man uns Peruanern zugewiesen hat: Vikunjas züchten. Damit ihre Wissenschaftler sie studieren und ihre Touristen sie fotografieren können. Für sie bist du weniger wert als diese Tiere.«
»Geh weg von hier, Kumpel«, riet ihm eines der Mädchen in Quechua, während sie den Arm um ihn legte. »Bestimmt kommen Polizisten, Soldaten werden kommen. Sie werden dich mit Füßen treten und dir deine Männlichkeit abschneiden, bevor sie dir eine Kugel in den Kopf jagen. Geh weit weg, geh ganz weit weg.«
»Vielleicht verstehst du dann, was du jetzt nicht verstehst«, erklärte ihm erneut der Kind-Mann, rauchend, den Blick auf die toten Vikunjas gerichtet. »Das hier ist ein Krieg, niemand kann sagen, das gehe ihn nichts an. Es geht alle an, auch die Stummen und Tauben und die Deppen. Ein Krieg, um mit den ›Herren‹ aufzuräumen. Damit sich keiner mehr niederkniet und anderen die Hände oder die Füße küßt.«
Sie blieben den Rest des Tags und der Nacht da. Pedrito Tinoco sah, wie sie ihr Essen zubereiteten, Wachposten an den Berghängen aufstellten, von denen man den Weg sehen konnte. Und er spürte, wie sie, eingehüllt in ihre Ponchos und Decken, aneinandergedrängt in den Höhlen des Berges
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