Tod in den Anden
bestand. Ein paar Handvoll Maisbrei, ein Bissen Dörrfleisch und ein Schluck Chicha brachten wieder Leben in ihn. Die Hirten nahmen ihn nach Auquipata mit, einer alten hochgelegenen Indiogemeinschaft mit Vieh und kleinen Parzellen ärmlicher Saatfelder, auf denen kaum mehr als ein paar schwärzliche Kartoffeln und mickrige Olluco-Knollen wuchsen.
Pedrito gewöhnte sich an Auquipata, und die Bauern erlaubten ihm dazubleiben. Wie in der Stadt bewirkten auch hier sein gefälliges Wesen und sein karges Leben, daß die Leute ihn akzeptierten. Sein Schweigen, sein ewiges Lächeln, seine ständige Bereitschaft, zu tun, was man von ihm verlangte, seine ganze Art, die den Eindruck erweckte, als befinde er sich bereits in der Welt der Körperlosen, verliehen ihm bald dieAureole eines Heiligen. Die Indios der Gemeinschaft behandelten ihn respektvoll und distanziert, im Bewußtsein, daß er nicht einer von ihnen war, so sehr er auch ihre Arbeiten und ihre Feste mit ihnen teilte.
Einige Zeit später – Pedrito hätte nicht sagen können, wieviel, denn in seinem Leben floß die Zeit nicht in der gleichen Weise wie in dem der anderen – kam es zu einer wahren Invasion von Ortsfremden. Sie kamen und gingen, und sie kehrten wieder, und es fanden stundenlange Ratssitzungen statt, um die Vorschläge zu erörtern. Die Neuankömmlinge waren gekleidet, wie sich in Pedritos ungewisser Erinnerung andere an dem anderen Ort, früher, gekleidet hatten. Die Dorfoberen erklärten, daß das Vikunja-Reservat, das die Regierung schaffen wollte, sich nicht auf das rechtmäßig eingetragene Land ausdehnen und Auquipata zum Nutzen gereichen würde, da die Bauern der Gemeinschaft ihre Produkte an die Touristen verkaufen könnten, die von den Vikunjas angezogen werden würden.
Eine Familie wurde mit der Bewachung betraut, als man anfing, die Vikunjas zu einer halb zwischen den Bergen verlorenen Hochebene, zwischen den Flüssen Tambo Quemado und San Juan, zu bringen, einen Tagesmarsch vom Zentrum der Gemeinschaft entfernt. Es gab Ichu-Gräser, kleine Seen, Bäche, Höhlen in den Bergen, und die Vikunjas gewöhnten sich schnell ein.
Sie wurden aus entfernten Regionen der Kordillerein Lastwagen bis zur Abzweigung der Piste nach San Juan, Lucanas und Puquio transportiert, und von dort aus trieben sie die Hirten von Auquipata weiter. Pedrito Tinoco zog zu der Wächterfamilie. Er half, eine Hütte zu bauen und einen Kartoffelacker und ein Gehege für Meerschweinchen anzulegen. Man hatte ihnen gesagt, daß in gewissen Zeitabständen Amtspersonen kommen würden, um ihnen Lebensmittel und Mobiliar für ihre Unterkunft zu bringen, und daß man ihnen einen Lohn zahlen würde. Und in der Tat erschien ab und zu ein Amtsvertreter in einem roten Lieferwagen. Er stellte Fragen und übergab ihnen etwas Geld oder Vorräte. Dann kam niemand mehr. Und es verging so viel Zeit, ohne daß jemand im Reservat auftauchte, daß die Wächterfamilie eines Tages ein Bündel mit ihren Habseligkeiten schnürte und nach Auquipata zurückkehrte. Pedrito Tinoco blieb bei den Vikunjas zurück.
Er hatte zu diesen zarten Tieren eine innigere Beziehung geknüpft als jemals zu seinesgleichen. Den ganzen Tag verbrachte er damit, sie zu beobachten, ihre Gewohnheiten, ihre Bewegungen, ihre Spiele, ihre Ticks zu erforschen, mit einer einfältigen, fast mystischen Aufmerksamkeit; er hielt sich den Bauch vor Lachen, wenn er sah, wie sie einander zwischen dem Punagras verfolgten, sich gegenseitig beknabberten, herumtollten, oder wurde traurig, wenn eines die Schlucht hinunterstürzte und sich die Füße brach oder ein Weibchen bei einer Fehlgeburt verblutete.Wie zuvor die Leute in Abancay und die Bauern von Auquipata, adoptierten ihn auch die Vikunjas. Wahrscheinlich sahen sie in ihm einen Wohltäter, ein Mitglied der Familie. Sie ließen ihn an sich herankommen, ohne zu erschrecken, und manchmal streckten ihm die zärtlichen Weibchen den Hals entgegen und baten ihn mit ihren klugen Augen, er möge sie an den Ohren ziehen, den Rücken und den Bauch kraulen oder die Nase reiben (was ihnen am meisten gefiel). Selbst wenn die Männchen in der Brunftzeit aggressiv wurden und niemanden in die Nähe ihres Trupps aus vier oder fünf Konkubinen ließen, erlaubten sie, daß Pedrito mit den Weibchen spielte, allerdings nicht ohne ihre Riesenaugen von ihm zu lassen, bereit, bei Gefahr sofort einzugreifen.
Manchmal kamen Fremde in das Reservat. Sie kamen von weither, sie sprachen weder Quechua noch
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