Tod in den Anden
Spanisch, sondern Laute, die Pedrito so seltsam vorkamen wie ihre Stiefel, Schals, großen Jacken und Hüte. Sie machten Fotos und unternahmen lange Fußmärsche, um die Vikunjas zu studieren. Aber trotz Pedritos Bemühungen ließen diese niemanden an sich heran. Er brachte sie in seiner Hütte unter und bediente sie. Beim Fortgehen schenkten sie ihm Konservendosen und ein bißchen Geld.
Diese Besuche waren die einzige Abwechslung im Leben Pedrito Tinocos, dessen Tageslauf den Rhythmen und Phänomenen der Natur gehorchte: dem Regen und Hagel an den Nachmittagen und Abendenund der erbarmungslosen Sonne der Vormittagsstunden. Er stellte Fallen für die Viscachas auf, aber er aß vor allem die Kartoffeln seines kleinen Ackers, und von Zeit zu Zeit tötete und kochte er ein Meerschweinchen. Und er salzte Fleischstücke verendeter Vikunjas ein und hängte sie draußen zum Trocknen auf. Dann und wann ging er zu einem Markt in den Tälern hinunter, um Kartoffeln und Olluco-Knollen gegen ein wenig Salz und ein Säckchen Kokablätter einzutauschen. Zuweilen kamen Hirten der Gemeinschaft an die Grenzen des Reservats. Sie machten halt in der Hütte Pedrito Tinocos und erzählten ihm Neuigkeiten aus Auquipata. Er hörte ihnen sehr aufmerksam zu und bemühte sich zu behalten, von was und von wem sie sprachen. Der Ort, aus dem sie kamen, war ein undeutlicher Traum. Die Hirten rührten an verborgene Tiefen seiner Erinnerung, flüchtige Bilder, Spuren einer anderen Welt und einer Person, die nicht mehr er war. Er verstand auch nicht das mit der Erde, die sich in Aufruhr befand, mit dem Fluch, der über sie gekommen war, mit den Leuten, die umgebracht wurden.
In der Nacht vor jenem Morgengrauen hatte es ein Unwetter mit Hagel gegeben. Bei diesen Unwettern kamen immer einige junge Vikunjas ums Leben. An die Tiere, die unterkühlt oder vom Blitz erschlagen sterben würden, dachte er, zusammengerollt unter seinem Poncho in der Hütte, fast die ganze Nacht, während durch die Spalten im Dach stoßweise der Regeneindrang. Er schlief ein, als es Tag zu werden begann. Als er aufwachte, hörte er Stimmen. Er stand auf, ging hinaus, und da waren sie. Es waren etwa zwanzig, mehr Leute, als Pedrito je auf einmal zum Reservat hatte kommen sehen. Männer, Frauen, Jugendliche und Kinder. Sein Kopf brachte sie mit dem verschwommenen Bild der Kaserne zusammen, denn die hier trugen ebenfalls Flinten, Maschinenpistolen und Messer. Aber sie waren nicht wie Soldaten gekleidet. Sie hatten Feuer gemacht und kochten. Er hieß sie willkommen, lächelte sie an mit seinem einfältigen Gesicht, verbeugte sich vor ihnen, neigte den Kopf zum Zeichen des Respekts.
Zuerst sprachen sie in Quechua und dann in Spanisch mit ihm.
»Du darfst dich nicht so bücken. Du darfst nicht unterwürfig sein. Grüß uns nicht, als wären wir ›Herren‹. Wir sind deinesgleichen. Wir sind wie du.«
Es war ein junger Bursche mit hartem Blick, mit dem Ausdruck von jemandem, der viel gelitten hat und großen Haß empfindet. Wie konnte er, wo er doch fast noch ein Kind war? Hatte er etwas gesagt oder getan, was ihn beleidigt hatte? Um seinen Fehler wiedergutzumachen, lief Pedrito Tinoco in seine Hütte und brachte ihm ein Säckchen mit getrockneten Kartoffeln und ein paar Streifen Dörrfleisch. Er reichte sie ihm mit einer tiefen Verbeugung.
»Kannst du nicht sprechen?« fragte ihn eines der Mädchen in Quechua.
»Er wird’s vergessen haben«, sagte ein anderer, während er ihn von oben bis unten musterte. »In diese einsame Gegend kommt bestimmt nie jemand. Verstehst du wenigstens, was wir sagen?«
Er gab sich alle Mühe, kein Wort zu verlieren und vor allem zu erraten, wie er ihnen gefällig sein konnte. Sie fragten ihn nach den Vikunjas. Wie viele es waren, bis wohin das Reservat in dieser und in dieser und in dieser Richtung reichte, wo sie zu trinken pflegten, wo sie schliefen. Mit vielen Gesten und jedes Wort zwei-, drei-, zehnmal wiederholend, gaben sie ihm zu verstehen, er solle sie zu ihnen führen, ihnen helfen, sie zusammenzutreiben. Hüpfend, die Bewegungen nachahmend, die die Tiere vollführten, wenn ein Regenguß kam, erklärte Pedrito ihnen, daß sie sich in den Höhlen befanden. Sie hatten die Nacht dort verbracht, dicht zusammengedrängt, aufeinander, sich gegenseitig wärmend, vor den Blitzen und Donnerschlägen zitternd. Er wußte es, er hatte viele Stunden dort mit ihnen geteilt, seine Arme um sie gelegt, ihre Angst gespürt, ebenfalls vor Kälte
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