Tod in den Anden
Carreño hörte sie schimpfen, sah, wie sie ihr Gesicht in den Händen vergrub, sich hin und her drehte auf der Suche nach einer Position.
»Laß uns einen Handel machen«, hörte er sie schließlich sagen, wobei sie versuchte, unbefangen zu klingen. »Du stützt dich eine Weile auf meine Schulter. Dann ich auf deine. Wenn wir nicht ein bißchen schlafen, kommen wir halbtot in Huánuco an.«
»Sieh mal an, die Sache wurde interessant«, kommentierte Lituma. »Erzähl mir endlich die erste Nummer, die du mit ihr geschoben hast, Tomasito.«
»Ich habe gleich den Arm ausgestreckt und ein hübsches Plätzchen für sie gemacht«, sagte Tomás vergnügt. »Ich fühlte, wie ihr Körper dicht an meinen herankam, ich fühlte, wie ihr Kopf sich an meine Schulter lehnte.«
»Und natürlich stand er dir«, sagte Lituma.
Der Junge ging auch dieses Mal nicht darauf ein.
»Ich legte den Arm um sie, stützte meine Hand auf sie«, fuhr er fort. »Mercedes schwitzte. Ich auch. Ihr Haar streifte mein Gesicht, kitzelte mich in der Nase. Ich spürte die Rundung ihrer Hüfte ganz dicht an meiner. Wenn sie sprach, berührten ihre Lippen meine Brust, und durch das Hemd hindurch spürte ich die Wärme ihres Atems.«
»Ich bin es, dem er steht, Scheiße nochmal«, sagte Lituma. »Und was mach ich jetzt, Tomasito? Mir einen runterholen?«
»Gehen Sie raus zum Pinkeln, Herr Korporal. Bei der Kälte draußen schlafft er gleich ab.«
»Bist du sehr religiös? Sehr katholisch? Kannst du nicht akzeptieren, daß ein Mann und eine Frau gewisse Dinge tun? Ist es wegen der Geschichte mit der Sünde, daß du ihn umgebracht hast, Carreñito?«
»Ich war glücklich, sie so nahe bei mir zu haben«, fuhr sein Amtshelfer selig fort. »Mit zusammengepreßtem Mund, ganz still, habe ich zugehört, wie sich der Lastwagen bei der Fahrt hinauf in die Kordillere abmühen mußte, und mein Verlangen beherrscht, sie zu küssen.«
»Sei nicht böse, weil ich dich das frage«, beharrte Mercedes. »Ich versuche nur zu begreifen, warum du ihn umgebracht hast, und ich komm nicht darauf.«
»Schlaf und denk nicht daran«, sagte der Junge bittend. »Mach es wie ich. Ich erinnere mich schon nichtmehr, ich habe den Chancho und Tingo María schon vergessen. Vermisch die Religion nicht mit diesen Dingen.«
Es herrschte tiefe Nacht im Massiv der Anden, die nach jeder Kurve, die der Lastwagen nahm, nur noch höher wirkten. Aber unten, in der Urwaldregion, die sie hinter sich ließen, erschien ein schmaler bläulichweißer Streifen am Horizont.
»Hörst du? Hörst du?« Lituma fuhr plötzlich auf seiner Pritsche hoch. »Nimm den Revolver, Tomasito. Es sind Schritte auf dem Berg, ich schwör’s dir.«
III
»Casimiro Huarcaya haben sie vielleicht verschwinden lassen, weil er den pishtaco gespielt hat«, sagte der Kantinenwirt Dionisio. »Er selbst hatte das Gerücht in Umlauf gesetzt. Dort, wo Sie stehen, habe ich ihn tausendmal fuchsteufelswild schreien hören: ›Ich bin ein pishtaco , na und. Ich werde euch allen noch das Fett rausschneiden und das Blut aussaugen.‹ Er hatte zwar einen sitzen, aber man weiß ja, daß Betrunkene die Wahrheit sagen. Die ganze Kantine hat ihn gehört. Übrigens, mein Herr Korporal, gibt es in Piura pishtacos ?«
Lituma hob das Gläschen mit Anis, das der Kantinenwirt ihm soeben gefüllt hatte, sagte ›Prost‹ zu seinem Amtshelfer und trank es in einem Zug aus. Die süßliche Wärme, die bis in seine Eingeweide drang, hob seine Laune, die den ganzen Tag am Boden gelegen hatte.
»Zumindest hab ich nie gehört, daß es in Piura welche geben soll. Seelenbeschwörer, das ja. Ich kannte einen, in Catacaos. Man rief ihn in die Häuser, in denen Seelen umherirrten, damit er sie besprach und sie fortgingen. Aber verglichen mit einem pishtaco ist ein Seelenbeschwörer natürlich kalter Kaffee.«
Die Kantine lag im Zentrum des Lagers, umgebenvon den Baracken, in denen die Hilfsarbeiter schliefen. Es war ein niedriger Bau mit Bänken und Kisten anstelle von Stühlen und Tischen, mit einem Boden aus Erde und Bildern von nackten Frauen, die an die Bretterwand gepinnt waren. An den Abenden herrschte immer großes Gedränge, aber es war noch früh – die Sonne war gerade untergegangen –, und außer Lituma und Tomás waren nur vier Männer da, mit Schals und zwei von ihnen mit Helm; sie saßen an einem der Behelfstische und tranken Bier. Der Korporal und der Gendarm, mit einem zweiten Gläschen Anis in den Händen, setzten sich an den
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