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Tod in den Anden

Tod in den Anden

Titel: Tod in den Anden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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dauerte doppelt so lange. Es hatte in der Nacht in den Höhen der Kordillere stark geregnet, und die Piste stand unter Wasser oder war von Geröll versperrt. Der Korporal und der Fahrer mußten immer wieder aussteigen und Felssteine beiseite rollen, um dem Fahrzeug die Weiterfahrt zu ermöglichen. Oder es blieb stecken, und dann mußte man es anschieben oder wieder flottmachen, indem man Bretter oder flache Steine unter die Räder schob.
    Am Anfang waren die Versuche, die Francisco López unternahm, um ein Gespräch mit Lituma anzuknüpfen, vergeblich. Jedesmal wenn er das Wort an ihn richtete, erhielt er als Antwort ein Brummen, einsilbige Wörter oder ein Kopfnicken. Aber nach einer Stunde Fahrt brach der Korporal plötzlich sein Schweigen und murmelte hinter seinem Schal:
    »Das muß es gewesen sein, die Scheißindios haben sie den apus geopfert.«
    »Meinen Sie die Verschwundenen von Naccos?« Francisco López warf ihm einen verwirrten Blick zu.
    »So sind diese Arschlöcher, auch wenn Sie es nicht glauben wollen«, sagte Lituma. »Und die Idee haben ihnen natürlich Dionisio und die Hexe eingetrichtert.«
    »Dieser Dionisio ist zum Schlimmsten fähig«, sagte Francisco López lachend. »Es kann nicht stimmen, daß Alkohol tötet. Wie könnte dieser Säufer sonst am Leben sein?«
    »Kennen Sie ihn schon lange?«
    »Ich bin ihm von jungen Jahren an überall im Hochland begegnet. Er kreuzte in allen Bergwerken auf, in denen ich gearbeitet habe. Ich war Werber, bevor ich im Sicherheitsbereich anfing. Zu dieser Zeit hatte Dionisio kein festes Lokal, er betrieb einen Straßenausschank. Er verkaufte Pisco, Chicha und Schnaps von Bergwerk zu Bergwerk, von Dorf zu Dorf und gab Vorstellungen mit einer Truppe von Gauklern. Die Geistlichen hetzten ihm die Bullen auf den Hals. Entschuldigung, ich hab vergessen, daß Sie auch einer sind.«
    Lituma hatte noch immer den Kopf in den Schal gehüllt und das Käppi bis in die Stirn herabgezogen; der Fahrer konnte nur die Wangenknochen erkennen, die stumpfe Nase und die beiden dunklen kleinen Augen, die halb geschlossenen waren und ihn forschend anblickten.
    »War er damals schon mit Doña Adriana verheiratet?«
    »Nein, ihr ist er später in Naccos begegnet. Hat man Ihnen das nicht erzählt? Das ist doch eine der großen Klatschgeschichten der Anden. Er soll ihretwegen den Bergarbeiter erledigt haben, der ihr Mann war. Und sie dann entführt haben.«
    »Es ist immer das gleiche«, rief Lituma. »Wo dieser Typ auftaucht, ist alles Blut und Verderben.«
    »Und das hat uns jetzt gerade noch gefehlt«, sagte der Fahrer. »Die große Sintflut.«
    Es hatte mit großer Heftigkeit zu regnen begonnen. Der Himmel wurde rasch dunkel und füllte sich mit Donnerschlägen, die in den Bergen widerhallten. Ein Vorhang dicker Tropfen fiel gegen die Fensterscheiben, und der Scheibenwischer schaffte es nicht, ihnen die nötige Sicht zu ermöglichen, damit sie Schlaglöchern und überschwemmten Flächen ausweichen konnten. Sie fuhren ganz langsam; das Fahrzeug bockte wie ein wildes Pferd.
    »Und wie war Dionisio damals?« Lituma wandte kein Auge vom Fahrer. »Hatten Sie ein wenig Umgang mit ihm?«
    »Ich habe mich manchmal mit ihm betrunken, das war alles«, sagte Francisco López. »Er kam zu allen Märkten und Dorffesten mit seinen Musikern und ein paar Indiofrauen, die halbe Nutten waren und mit viel Getue tanzten. Beim Karneval in Jauja habe ich einmal erlebt, wie ihn der Jalapato schier umden Verstand gebracht hat. Kennen Sie diesen Tanz der Gegend von Jauja? Die Leute tanzen und tanzen, und mittendrin reißen sie einer lebenden Ente den Kopf ab. Dionisio köpfte sie alle, die anderen ließ er gar nicht zum Zug kommen. Am Ende haben sie ihn hinausgeworfen.«
    Der Jeep kroch im Schneckentempo vorwärts, durch eine Landschaft ohne Bäume und Tiere, zwischen Felsen, Schluchten, Gipfeln und Wegwindungen, die vom Wolkenbruch gepeitscht wurden. Aber nicht einmal das Unwetter lenkte Lituma von seiner Obsession ab. Er hatte eine tiefe Furche auf der Stirn und hielt sich an der Tür und an der Decke des Jeeps fest, um die Erschütterungen aufzufangen.
    »Der Typ erzeugt bei mir Alpträume«, gestand er. »Er ist verantwortlich für alles, was in Naccos passiert.«
    »Seltsam ist, daß die Terroristen ihn noch nicht umgebracht haben. Sie richten ständig Schwule, Zuhälter, Huren, Perverse jeder Art hin. Dionisio ist all das zusammen und noch viel mehr.« Francisco López warf Lituma einen raschen Blick

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