Tod in den Wolken
stirbt, und jemand sein Taschentuch fallen lässt und sich dann bückt, um es aufzuheben, wer wird darauf achten oder gar darüber nachgrübeln?»
«Das stimmt», gab der Inspektor zu. «Mithin steht Bryant endgültig auf der Liste der Verdächtigen. Er konnte seinen Kopf um die Ecke seines Sitzes beugen und das Blasrohr benutzen – wiederum quer durch den Raum. Aber warum sah es niemand…? Nein, ich will damit nicht von neuem beginnen! Derjenige, der es tat, wurde jedenfalls nicht gesehen.»
«Und dafür muss es einen Grund geben», sagte der Franzose, «einen Grund, der nach allem, was ich hörte, Monsieur Poirot gefallen wird.» Er lächelte leicht. «Ich meine einen psychologischen Grund.»
«Weiter, weiter, mon ami», mahnte Poirot. «Was Sie da erwähnen, ist ungemein interessant.»
«Nehmen wir einmal an, Sie führen in der Eisenbahn an einem brennenden Haus vorüber. Sofort würden aller Augen sich nach dem Fenster wenden. Jeder würde seine Aufmerksamkeit auf einen festen Punkt richten, und in solch einem Moment könnte ein Mann einen Dolch hervorziehen und jemanden erstechen, ohne dass es die Mitreisenden sähen.»
«Das ist wahr», pflichtete der kleine Belgier ihm bei. «Ich erinnere mich eines Falles, bei dem es sich um Gift handelte und mit dem ich befasst war. Da gab es, wie Sie es nennen, einen psychologisch richtigen Moment. Wenn wir herausfinden, dass es ihn während des Fluges der ‹Prometheus› gab…»
«Durch Befragen der Stewards und der Passagiere müssten wir das eigentlich erfahren», fiel Japp ein.
«Ja. Doch ist tatsächlich ein derartiger Moment eingetreten, so zwingt uns das logischerweise zu der Schlussfolgerung, dass der Mörder ihn schuf. Er ist imstande gewesen, die genaue Wirkung hervorzurufen, die dann jenen Moment verursachte.»
«Ausgezeichnet, Monsieur Poirot! Ausgezeichnet!», rief Fournier, und der Inspektor ergänzte:
«Ich werde später meine Fragen in diesem Sinne stellen. Nun komme ich zu Sitz Nr. 8 – Daniel Michael Clancy.» Japp sprach den Namen mit einem gewissen Nachdruck aus. «Nach meiner Meinung ist er der Verdächtigste von allen. Fällt es einem Autor seines Schlages schwer, Interesse für Schlangengift zu heucheln und irgendeinen arglosen Chemiker zu bewegen, ihn die gefährlichen Röhrchen anfassen zu lassen? Vergessen Sie auch nicht, dass er am Platz der Giselle vorüberging – als einziger der Passagiere.»
«Ich versichere Ihnen, mein Freund, dass ich diesen Punkt nicht vergessen habe», beteuerte Poirot, woraufhin Japp in seinen Ausführungen fortfuhr:
«Er kann es – ohne Ihren psychologisch richtigen Moment aus der Nähe benutzt haben, gestand er doch seine Kenntnisse bezüglich dieser Mordinstrumente offen ein. Und woher wissen wir denn, dass jenes Blasrohr, das er heute so stolz dem Vorsitzenden präsentierte, jenes ist, das er vor zwei Jahren kaufte? Ich traue dem ganzen Schwindel nicht! Meiner Ansicht nach kann es einem Mann nicht gut bekommen, ständig über Verbrechen und Detektivgeschichten zu brüten und alle erdenklichen Fälle nachzulesen. Es setzt ihm Ideen in den Kopf.»
«Ideen muss ein Schriftsteller ja nun einmal haben», lächelte Poirot.
Japp tippte schon wieder auf den Plan.
«Nr. 4 war Ryder – der Platz gleich vor der Toten. Ich halte Ryder zwar nicht für den Täter, aber auslassen dürfen wir ihn keineswegs. Er ging zur Toilette, und bei der Rückkehr bot sich ihm Gelegenheit für den Mord. Was dagegen spricht, ist, dass die Archäologen es hätten sehen müssen – unweigerlich!»
«Lieber Japp, Sie kennen wohl nur wenige Archäologen?», fragte ihn der kleine Belgier. «Wenn die Duponts sich in ein Thema wirklich verrannt hatten, dann waren sie blind und taub für ihre Umwelt. Sie haben dann – verstehen Sie? – fünftausend Jahre vor Christus gelebt. Das Jahr 1936 wäre für sie nicht vorhanden gewesen.»
Inspektor Japps Züge verrieten leisen Zweifel.
«Na, meinetwegen», sagte er nach einem Weilchen. «Was wissen Sie über die Duponts, Fournier?»
«Armand Dupont ist einer der bedeutendsten Archäologen Frankreichs.»
«Das tut nichts zur Sache. Ihre Plätze im Flugzeug sind, von meinem Standpunkt aus betrachtet, ganz vorteilhaft: jenseits des Ganges, aber etwas weiter nach vorn als Madame Giselle. Und da sie genügend in der Welt herumgekommen und an den wunderlichsten Orten gegraben haben, kann ihnen ganz leicht auch mal irgendein exotisches Schlangengift in die Hände geraten sein.»
«Unmöglich
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