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Tod in den Wolken

Tod in den Wolken

Titel: Tod in den Wolken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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nicht.» Ihre zitternde Hand griff nach einer Flasche mit goldenem Verschluss.
    «Das wird mich stärken…»
    Sie zog das Pulver durch die Nase ein.
    Ah, jetzt konnte sie denken! Was tun? Natürlich mit dem Mann sprechen. Woher sie allerdings Geld nehmen sollte – ob sie es in der Carlos Street versuchte?
    Doch das hatte Zeit! Zuerst den Mann sehen, herausfinden, was er wusste.
    Und so erhob sie sich vom Toilettentisch, setzte sich an den schönen antiken Sekretär und schrieb in ihrer großen, ungelenken Handschrift:
     
    «Lady Horbury ist geneigt, Mr John Robinson morgen Vormittag um elf Uhr zu empfangen.»
     
    «Wird es so gehen?», fragte Norman Gale.
    «Um Himmels willen!», entsetzte sich Poirot. «Wollen Sie in einem Lustspiel auftreten?»
    «Sie sagten doch, eine leichte Verkleidung könnte nichts schaden», entschuldigte sich der junge Zahnarzt verlegen.
    Poirot seufzte und zog den andern vor den Spiegel.
    «Betrachten Sie sich selbst, mehr verlange ich nicht. Betrachten Sie sich! Möchten Sie Nikolaus spielen für die Kinder? Zugegeben: Ihr Bart ist nicht weiß; nein, er ist schwarz – die Farbe der Schurken. Aber was für ein Bart! Ein Bart, der zum Himmel schreit! Ein billiger und lächerlich stümperhaft befestigter Bart. Dann bitte die Augenbrauen. Haben Sie denn eine krankhafte Vorliebe für falsche Haare? Man riecht den Klebstoff ja auf mehrere Meter Entfernung. Und wenn Sie glauben, es merke niemand, dass Sie ein Stück Heftpflaster an einem Zahn befestigt haben, so irren Sie sich gewaltig. Mein junger Freund, es ist nicht Ihr Metier – entschieden nicht – , eine Rolle zu spielen.»
    «Verzeihung, ich habe ziemlich oft bei Theateraufführungen im Freundeskreis mitgewirkt», versetzte Norman Gale steif.
    «Das kann ich mir kaum vorstellen. Oder aber man hat Ihnen hinsichtlich der Kostümierung nicht erlaubt, Ihre eigenen Ideen zu verwirklichen. Selbst im Rampenlicht würde Ihre Erscheinung nicht überzeugend wirken. Am Grosvenor Square jedoch, bei hellem Tageslicht…» Poirot beendigte den Satz durch ein beredtes Achselzucken.
    «Nein, mein Freund», begann er von neuem, «Sie sind ein Erpresser, kein Komödiant. Ich wünsche, dass die Gnädige Sie fürchtet und nicht bei Ihrem Anblick vor Lachen stirbt. Mein Urteil verwundert Sie, nicht wahr? Ich kann’s nicht ändern. Im gegenwärtigen Augenblick ist nur die Wahrheit dienlich. Gehen Sie nach nebenan ins Badezimmer, und machen Sie mit diesen Narrenpossen ein Ende.»
    Niedergeschmettert gehorchte Norman Gale. Als er eine Viertelstunde später wieder zum Vorschein kam, das Gesicht vom Frottieren und Schrubben ziegelrot, nickte Hercule Poirot zufrieden.
    «Très bien. Der Schwank ist vorbei; das ernste Geschäft beginnt. Einen kleinen Schnurrbart will ich Ihnen gestatten; aber ich werde ihn Ihnen selbst anlegen.» Ein Weilchen hantierte er an Normans Oberlippe. «Und jetzt wird das Haar anders gescheitelt – so! Das genügt. Nun möchte ich hören, ob Sie wenigstens Ihre Sätze können.»
    Er lauschte aufmerksam und nickte dann abermals.
    «Nicht schlecht! Also los und viel Glück!»
    «Das hoffe ich von ganzem Herzen», sagte Gale kleinlaut. «Aber vermutlich erwartet mich ein zornschnaubender Gatte mit ein paar Polizisten.»
    «Keine Angst. Alles wird wie am Schnürchen klappen», versicherte Hercule Poirot.
    «Wer’s glaubt!», murmelte Norman Gale rebellisch. Und mit innerem Widerstreben brach er auf, um die abscheuliche Mission auszuführen.
    Am Grosvenor Square wurde er in ein kleines Zimmer geführt, das zwei Minuten später auch Lady Horbury betrat.
    Norman riss sich zusammen. Er durfte auf keinen Fall zeigen, dass er ein Neuling in diesem Fach war.
    «Mr Robinson?», sagte Cicely.
    «Zu Ihren Diensten.» Blöde Antwort, schalt er sich innerlich, genau wie ein Verkäufer. Das macht die Angst.
    «Ich bekam Ihren Brief», hörte er Cicely Horburys Stimme.
    Norman gab sich einen Ruck. Was? Der alte Narr hatte gemeint, er tauge nicht zum Schauspieler…? Und ziemlich frech entgegnete er laut:
    «Und wie stellen Sie sich dazu, Lady Horbury?»
    «Ich weiß nicht, was Sie meinen.»
    «Sie zwingen mich also, Einzelheiten zu erwähnen…? Jedem ist bekannt, wie angenehm ein – na, nennen wir es mal ein Wochenende – an der See sein kann. Aber Ehemänner sind meist anderer Ansicht. Ich glaube, dass Sie ganz genau wissen, Lady Horbury, welche Beweise vorliegen. Eine prachtvolle Frau, die alte Giselle. Gab sich nie mit halben Sachen ab.

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