Tod in der Königsburg
nicht gefangengenommen?« Jetzt wurde Fidelmas Ton scharf. »Du mußtest ihn töten, obwohl er uns wertvolle Auskünfte über den Anschlag hätte geben können?«
Gionga trat verlegen von einem Fuß auf den anderen. »Daran denkt man im Kampf nicht gleich. Der Mann war eine Bedrohung und mußte erledigt werden.«
»Eine Bedrohung!« wiederholte Fidelma. »Er sieht schon ziemlich alt aus, und bei seinem Leibesumfang wäre es einem jungen Krieger wie dir sicher leichtgefallen, ihn zu entwaffnen. An eins möchte ich dich noch erinnern, Gionga von den Uí Fidgente: wenn eine
dálaigh
eine Frage stellt, dann will sie die Wahrheit hören, keine Lüge zur Rechtfertigung einer Tat.«
Gionga gab ihr einen trotzigen Blick zurück, sagte aber nichts.
Eadulf hatte sich inzwischen über die Leiche des kleineren Mannes gebeugt. Verblüffung spiegelte sich in seinem Gesicht.
»Was ist?« fragte ihn Fidelma.
Wortlos winkte Eadulf sie zu sich heran.
Gionga und Donndubháin folgten ihr neugierig.
Eadulf hob den Kopf der Leiche etwas an, so daß man die Schädeldecke sehen konnte. Getrocknetes Blut bezeichnete die Stelle, an der Giongas Hieb mit dem Schwertgriff die Hirnschale eingeschlagen hatte.
Fidelmas Augen weiteten sich.
»Was ist denn?« fragte Gionga. »Ich sehe nur die Wunde, die ich ihm beigebracht habe. Das gebe ich offen zu. Was sonst?«
Fidelma sprach sehr ruhig. »Worauf uns Bruder Eadulf hinweist, Gionga, ist der Unterschied im Haarwuchs des Toten auf der Schädeldecke und in ihrer Umgebung. Wie du siehst, ist das Haar ringsum dicht und lockig. Auf einem Kreis in der Mitte ist es aber kaum zwei oder drei Zentimeter lang.«
Gionga begriff immer noch nicht, worum es ging.
Donndubháin erkannte es zuerst. »Bedeutet das, der Mann war bis vor kurzem Mönch?«
»Was?« Gionga war verblüfft. Er starrte auf das Haar des Toten.
»Die
corona spina
der römischen Kirche«, erklärte Eadulf, der dieselbe Tonsur trug.
»Meinst du damit, daß dieser Mann Ausländer war«, fragte ihn Gionga.
Fidelma schloß einen Moment die Augen. »Es gibt viele Mönche in den fünf Königreichen, die die Tonsur des heiligen Johannes mit der des heiligen Petrus vertauscht haben«, erläuterte sie. »Die Tonsur verrät uns lediglich, daß er ein Mönch ist . . . oder war.«
»Wir wissen auch, daß er bis vor ungefähr zwei Wochen die Tonsur trug. So lange, denke ich, brauchte das Haar, um diese Länge zu erreichen«, fügte Eadulf hinzu.
»Zwei Wochen?« fragte Fidelma.
Eadulf nickte bestätigend.
Sie traten zurück, und Eadulf untersuchte die Leiche weiter. Er wies auf den linken Unterarm. »Habt ihr diese merkwürdige Tätowierung gesehen?«
Sie betrachteten sie genau.
»Sie stellt eine Art Vogel dar«, vermutete Donndubháin.
»Clamhán«
, erklärte Fidelma.
»Ein was?« fragte Eadulf.
»Eine Art Habicht«, erläuterte sie.
»Na, ich habe so etwas noch nicht gesehen«, meinte Gionga.
»Nein«, bemerkte Fidelma, »kannst du auch nicht, wenn du noch nicht in den nördlichen Gegenden gewesen bist.«
»Aber du warst wohl schon dort?« höhnte der Krieger.
»Ja. Ich habe den Vogel in Ulaidh und im Königreich Dál Riada gesehen auf meiner Reise zu dem großen Konzil, das Oswy von Northumbria einberufen hatte.«
»Ach!« strahlte Eadulf. »Jetzt erkenne ich den Vogel. Lateinisch heißt er
buteo,
der Bussard. Eine seltsame Unterarmtätowierung für einen Mönch.«
Er fuhr mit seiner Untersuchung fort und nahm sich besonders die Hände und Füße vor.
»Dieser Mann ist kein Mönch, der Krieger geworden ist, und auch kein Krieger, der Mönch geworden ist«, verkündete er. »Seine Hände und Füße sind weich und nicht schwielig. Sieh dir mal die rechte Hand an, Fidelma, besonders zwischen Zeige- und Mittelfinger.«
Fidelma nahm die schlaffe, kalte Hand und unterdrückte ein Schaudern bei der Berührung des weichen Fleisches, das sich so biegsam anfühlte, als enthalte es keine Knochen.
Sie warf Eadulf einen raschen, verständnisvollen Blick zu und ließ die Hand wieder sinken.
»Was ist denn jetzt?« fragte Gionga zornig, weil er wieder nichts begriffen hatte.
»Er hat Tintenflecken an den Fingern«, beantworteteEadulf seine Frage. »Das bedeutet, daß unser ehemaliger Mönch ein
scriptor
war. Merkwürdig, daß aus ihm ein Attentäter wurde.«
Gionga war auf Streit aus. »Na, der andere Mann war ja auch der Bogenschütze, und er trug das Zeichen der Leibgarde des Königs von Cashel, und seine Pfeile wurden von den
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