Tod in der Königsburg
nach.
Endlich stand Fidelma vor der schmalen Gestalt des Mannes, den man umzingelt hatte.
Sein Haar wurde schon grau, seine jetzt zerrissene und blut- und schmutzverschmierte Kleidung war von guter Qualität. Sein Mantel war mit Fuchspelz besetzt. Um den Hals trug er eine goldene Amtskette. Er machte merkwürdige, ruckartige Kopfbewegungen wie ein Vogel. Sein Hals war mager, der Adamsapfel trat hervor und hüpfte vor Aufregung. Fidelma wußte nicht, ob er sie an einen Vogel oder ein Frettchen erinnerte, beiden schien er ähnlich.
Sie sah, daß er nicht schwer verletzt war, und hob die Hand, um der lärmenden Menge Ruhe zu gebieten. In den Gesichtern der Leute standen Haß und Wut, aber auch Angst.
»Was hat das zu bedeuten?« Es war schließlich Finguines mächtige Stimme, die das Geschrei übertönte und zum Verstummen brachte.
»Ein Uí Fidgente!« rief einer. »Seht ihn euch an! Er kommt und will sich an dem Tod und der Vernichtung weiden, die seine Leute über uns gebracht haben.«
Fidelma blickte auf den kleinen blassen Mann, in dessen blutigem Gesicht sich Furcht und Zorn spiegelten.
»Wer bist du?« fragte sie ihn. »Bist du ein Uí Fidgente?«
Der kleine Mann richtete sich auf. Er ging ihr kaum bis zur Schulter.
»Ich bin . . .«, setzte er an.
Die Leute antworteten mit einem allgemeinen Wutgeheul auf das, was sie als eine Bestätigung ansahen.
»Halt!« rief Finguine. »Laßt den Mann sprechen. Außerdemseht ihr, daß er kein Krieger ist. Letzte Nacht wurdet ihr von Kriegern überfallen, nicht von Fremden, die auf Eseln reiten. Nun sprich, Mann, und sag uns, wer du bist und was du hier tust.«
»Es stimmt, daß ich ein Uí Fidgente bin, aber ich bin kein Krieger«, antwortete der Grauhaarige schließlich. »Was sagt dieser Mann, ihr seid von Kriegern der Uí Fidgente angegriffen worden? Das kann ich nicht glauben.«
»Wie der Fürst von Cnoc Áine bereits feststellte«, erklärte ihm Fidelma ruhig, »sind wir gestern nacht überfallen worden.«
Die Antwort des Grauhaarigen ging in erneutem Rachegeschrei unter.
Der Schmied Nion hatte sich nach vorn geschoben und stützte sich schwer auf seinen Stock.
»Hört ihr? Er gibt zu, daß er ein Uí Fidgente ist. Bringen wir ihn um.«
Der kleine Mann sah beunruhigt aus und schob das Kinn vor, doch mehr aus Zorn als aus Furcht. »Was ist das für eine Gastfreundschaft, daß ihr über unschuldige Reisende herfallt? Gibt es denn keine Achtung vor dem Gesetz in diesem Ort?«
»Gesetz!« höhnte Nion. Er wies auf die schwelenden Ruinen. »Haben sich denn die Uí Fidgente, die das hier angerichtet haben, um das Gesetz geschert? Komm und zähle die Leichen auf unserem Friedhof, und dann erkläre uns, wie ihr Uí Fidgente das Gesetz hochhaltet.«
Der kleine Mann schaute verwirrt drein. »Davon weiß ich nichts. Außerdem verlange ich Beweise für eure Anschuldigungen.«
»Beweise willst du?« rief ein anderer aus der Menge, derNion unterstützte. »Wir beweisen es dir mit einem Strick und einem Ast.«
Finguines Schwert fuhr aus der Scheide. »Niemand tastet diesen Mann an. Noch gelten Recht und Gesetz im Gebiet des Fürsten von Cnoc Áine.«
Fidelma warf ihrem Vetter einen dankbaren Blick zu.
»Geht an eure Arbeit«, befahl sie. »Dieser Mann befindet sich im Gewahrsam des Fürsten von Cnoc Áine, und wenn er in irgendeiner Weise für das verantwortlich ist, was man euch angetan hat, wird er vor Gericht gestellt.«
Zorniges Gemurmel erhob sich, doch da Finguine und seine beiden Männer mit gezogenen Schwertern dastanden, zerstreute sich die Menge widerwillig.
Der kleine Mann wischte sich das Blut vom Gesicht. Er faßte langsam wieder Mut, und sein blasses Gesicht rötete sich vor Zorn.
»Bestien! So bin ich noch nirgends empfangen worden. Dafür steht mir eine Entschädigung zu, Fürst von Cnoc Áine.«
Der letzte Satz war an Finguine gerichtet, der sein Schwert eingesteckt und sich ihm zugewandt hatte.
»Ich bin Finguine«, bestätigte er knapp. »Wer bist du?«
»Ich bin Solam von den Uí Fidgente.«
Fidelmas Augen weiteten sich leicht. »Bist du der
dálaigh
Solam?«
Der kleine Mann antwortete mit einem dünnen Lächeln: »Genau der bin ich, Schwester . . .?«
»Ich bin Fidelma von Cashel.«
Solam vermochte seine Überraschung gut zu verbergen.
»Ach!« Dieser Ausruf konnte vieles bedeuten. »Ich hätte mir denken können, daß du hier bist, Fidelma.«
»Und was machst du hier?« wollte Finguine wissen.
Der kleine Mann wies auf Fidelma.
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