Tod in der Königsburg
öffnete die Arme und reckte sich.
»Nichts. Bruder Bardán ist nicht wieder aufgetaucht.«
Eadulf blickte hinüber zu der Kapelle, die nun im Dämmerlicht klar zu erkennen war.
Die Trockenmauern des rechteckigen Gebäudes waren leicht schräg, um den Regen abzuleiten. Seine Größe hatte er im Mondlicht richtig geschätzt.
»Es ist eine kleine Kapelle«, meinte Eadulf.
»Ja«, stimmte ihm Fidelma zu. »Ein Bethaus zur stillen Andacht.«
»Bruder Bardán ist nicht wieder herausgekommen? Was macht er dort die ganze Zeit?«
»Wie du schon sagtest, trifft er sich vielleicht dort mit jemandem. Hab Geduld.«
Eadulf unterdrückte einen Seufzer. Er hatte fürchterlichen Durst, und sein Magen knurrte.
»Ich wünschte, ich hätte mir was zu essen und zu trinken mitgenommen.«
»Geduld«, wiederholte Fidelma ungerührt.
Eadulf hatte die Nase voll. »Geduld!« brummte er. »Ge duld kann auch eine Entschuldigung für mangelnde Zielstrebigkeit sein, die sich als Tugend ausgibt.«
Fidelma biß nicht darauf an, sie schwieg.
Die Zeit verging, und bald erschien die Sonne am Osthorizont. Ihre Strahlen fielen anfangs noch blaß und schwach über die Ebene. Von Bruder Bardán gab es noch immer keine Spur. Die Abteiglocke läutete zum ersten Gottesdienst des Tages.
Fidelma stand entschlossen auf.
»Was jetzt?« fragte Eadulf verwundert.
»Bruder Bardán ist nicht wieder aufgetaucht. Gehen wir hinein und sehen nach, was er treibt. Er muß uns wohl doch bemerkt haben, als wir ihm folgten. Deshalb ist er in der Kapelle geblieben.«
Fidelma eilte über das Feld auf das Gebäude zu, Eadulf blieb an ihrer Seite.
Durch die Tür der Kapelle konnte man nur einzeln eintreten, und auch das nur in gebückter Haltung. Fenster besaß sie nicht und war vollkommen dunkel. Fidelma ging voran und mußte etwas warten, bis sich ihre Augen auf das wenige Licht eingestellt hatten, das durch die Tür hereindrang. Eadulf kam ihr nach.
Sie sahen sich verwirrt um.
Das Bethaus war leer.
KAPITEL 17
Im Innern der Kapelle konnte man sich nirgends verstecken. Der Boden war mit Steinplatten ausgelegt, und es gab nur einen kleinen Altartisch mit einem holzgeschnitzten Kreuzdarauf. Links und rechts des Kreuzes stand je eine Talgkerze in einem Metallhalter, vor dem Kreuz eine Vase mit vertrockneten Blumen.
Das Bethaus war offensichtlich verlassen. Eadulf bemühte sich, seine Befriedigung zu unterdrücken, als er sagte: »Er muß sich herausgeschlichen haben, ohne daß du ihn sahst.«
»Ich hatte den Eingang die ganze Zeit im Auge. Er ging hinein, kam aber nicht wieder heraus«, entgegnete Fidelma mit Bestimmtheit und musterte ungläubig den Raum.
»Aller Anschein spricht dagegen.«
Ihr Blick funkelte zornig. »Im Gegensatz zu dir habe ich die Augen nicht zugemacht.«
Eadulf gestattete sich ein überlegenes Lächeln, sagte aber nichts.
Fidelma war sichtlich verwirrt. Als einzige Erklärung bot sich an, daß Bruder Bardán das Bethaus auf einem anderen Wege als durch die Tür verlassen hatte. Es gab aber keinen anderen Ausgang.
Mit einem Seufzer ließ sie davon ab, das Unergründliche ergründen zu wollen.
»Gehen wir zurück zur Abtei. Dieses Problem läßt sich nicht mit leerem Magen lösen«, schlug Eadulf vor.
Die Sonnenstrahlen fielen nun stärker auf den Tau, und stellenweise erhob sich ein leichter Nebel. Bald waren sie über das Feld zur Abtei zurückgekehrt. Die kleine Holztür zum Kräutergarten stand noch offen.
Fidelma blieb nachdenklich stehen und besah sich den Riegel.
»Nun, das beweist jedenfalls eines.«
Eadulf blickte sie fragend an und musterte dann Riegel und Tür. »Ist mir etwas entgangen?«
»Die Tatsache, daß der Riegel nicht vorgeschoben wurde, beweist, daß Bruder Bardán nicht auf diesem Wege zurückgekommen ist.«
»Woher weißt du das?«
»Weil Bruder Bardán durch diese Tür hinausgegangen ist und sie aufgeriegelt hat. Natürlich konnte er den Riegel nicht von außen vorschieben. Wäre er aber durch diese Tür zurückgekehrt, hätte er sie von innen verriegelt. Bruder Bardán ist noch da draußen.« Sie nickte in Richtung des Bethauses. »Doch ich verstehe nicht, wie er uns entwischt ist.«
Eadulf hatte keine Antwort darauf.
Sie gingen durch den Kräutergarten, über den Hof und in den Kreuzgang. Die Abtei erwachte zum Leben.
Mit düsterem Falkengesicht tauchte Abt Ségdae vor ihnen auf.
»Ihr wart nicht beim Morgengebet«, begrüßte er sie. In seiner Stimme schwang ein leichter Tadel mit.
»Nein«,
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