Tod in der Marsch
war eigentlich höflich. Richtig
schroff hat keiner reagiert.«
»Wirkten die Leute glaubwürdig?«, mischte sich Große
Jäger in das Gespräch ein.
»Ja, schon. Ich hatte nirgendwo den Eindruck, dass
jemand bewusst lügt. Ebenso hat es mich verwundert, dass ich niemandem begegnet
bin, von dem ich geglaubt hätte, er würde aufschneiden. Leider begegnen uns ja
immer wieder Wichtigtuer, die uns unbewusst auf eine falsche Fährte hetzen.«
Große Jäger zog ungeniert zweimal kräftig die Nase
hoch. »Wir haben zwar absolut keine Anhaltspunkte, aber dem sauberen Herrn von
Dirschau würde ich gern noch einmal etwas näher auf den Pelz rücken.«
Christoph nickte bestätigend. »Das glaube ich, aber
wir haben keine Handhabe gegen ihn. Ein unsympathisches Auftreten ist noch lange kein Grund für, nun sagen wir einmal, engere Maßnahmen. Auch wenn mir
persönlich manches gegen den Strich geht, gibt es objektiv nichts gegen ihn
vorzubringen. Konzentrieren wir uns doch auf die Fakten.«
Inzwischen hatten sie den Stadtrand Husums erreicht,
und Christoph musste auf den Verkehr achten. Die engen Straßen und die für
Fremde ungewohnte Verkehrsführung, die ihm aber in den Wochen seiner Tätigkeit
in dieser Stadt vertraut geworden war, lenkten ihn kurzfristig vom Thema ab.
Das Rot an einer Baustelle, die nur im gegenseitigen
Wechsel passiert werden konnte, ließ seine Gedanken abschweifen.
Merkwürdig, dachte er bei sich, da findest du dich bei
trübem Winterwetter in dieser entlegenen Gegend wieder. Du wirst mit einer
Aufgabe betraut, nach der du dich nicht gedrängt hast. Du musst einen Job
machen, zu dem dir viele Voraussetzungen fehlen. Und trotzdem hat diese Stadt,
die Aufgabe und das gesamte Umfeld dich in einen unerklärlichen Bann gezogen.
Du kannst nur an den Wochenenden zu deiner Familie
heimfahren. Und das klappt auch nicht immer. Deine Frau macht dir Vorwürfe. Sie
ist es nicht gewohnt, dass du zum Abend nicht daheim bist. Sie kennt nur das
geregelte Familienleben, das deine Verwaltungstätigkeit erlaubte.
Diese Gedanken schloss er mit der Erkenntnis ab, dass
ihm das Privatleben seiner beiden engsten Mitarbeiter bis heute unbekannt
geblieben war.
*
Im Büro versuchte Christoph, Frau Dr. Braun in Kiel zu
erreichen, um nach eventuell schon vorliegenden Ergebnissen der
Laboruntersuchungen zu fragen. Nachdem er von einem Apparat zum nächsten
verbunden worden war, erteilte ihm ein älterer Mann mit einem süffisanten
Unterton den Rat, Christoph möge sein Glück noch einmal am kommenden Tag
versuchen und darauf achten, das Zeitfenster zwischen Frühstückspause und
Mittagessen zu treffen. Dann könne er sicher – mit etwas Glück – den
gewünschten Gesprächspartner erreichen.
»Verdammte Bürokraten«, entfuhr es Christoph, als er
wütend den Telefonhörer zurücklegte.
Diese Äußerung, gerade von ihm, dem langjährigen
Verwaltungsmenschen hervorgebracht, veranlasste seine beiden Mitstreiter zu
einem herzhaften Lachanfall, in den er schließlich einstimmte. Große Jäger
hatte seine Lieblingspose eingenommen und die Füße auf der herausgezogenen
Schreibtischschublade platziert. Er zündete sich eine Zigarette an und blies
den Rauch genussvoll Richtung Leuchtstoffröhre, die ihr kaltes Licht in den
ungemütlichen Raum abstrahlte. Mommsen war mit dem Aufgießen eines Tees
beschäftigt.
»Wir kennen den Fundort der Leiche, aber nicht den
Tatort. Wir vermuten, dass dieser Tatort irgendwo in Marschenbüll liegen
könnte, im oberen Viertel des Dorfes, das ist die Seite, an der auch das von
Dirschau’sche Anwesen liegt.« Christoph legte eine kurze Pause ein und sah
seine beiden Kollegen an. »Anne Dahl war sicher nicht zu schwer, als dass ein
normaler Mann sie nicht über eine kurze Strecke hätte tragen können.
Unwahrscheinlich ist es jedoch, dass sie jemand zu Fuß vom Dorf bis zu der
Stelle, an der sie gefunden wurde, getragen hat.« Er blickte erneut in die
Runde. »Also muss sie mit einem Fahrzeug dorthin gebracht worden sein. Das kann
ein Pkw gewesen sein. Aber auch ein landwirtschaftliches Fahrzeug dürfen wir
nicht ausschließen. Ich hätte ja Lust, die Kollegen von der Kriminaltechnik
einmal auf die drei Autos unseres Landgrafen anzusetzen.«
»Das verspricht nach einer so langen Zeitspanne
zwischen Tat und Fund wenig Aussicht auf Erfolg«, wandte Große Jäger ein.
Christoph war skeptisch. Sie alle drei waren auf
diesem Gebiet eher unerfahren. Deshalb wollte er sich sachkundig machen.
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