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Tod in der Walpurgisnacht

Tod in der Walpurgisnacht

Titel: Tod in der Walpurgisnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Wahlberg
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Papa genauso gewesen.
    Was hatte es eigentlich mit Skogis auf sich? Ein unangenehmes Echo aus jener Zeit hallte ihr im Kopf nach. Skoglund, der Beste, Skoglund hatte Recht, Skoglund bestimmte.
    Dieses Echo klang noch lauter, seit sie die Krankenakte der Mutter gelesen hatte. Skogis war bei Mama und ihr im Krankenhaus gewesen. Was war da eigentlich passiert? Sie musste Veronika fragen, ob sie sich erinnerte.
    Teile der Krankenakte konnte Hilda schon auswendig:
    »36-jährige bisher gesunde Frau kommt von zu Hause in die Ambulanz wg. plötzlich einsetzender Schmerzen im Bauchraum. Anämie, Hb 7,8 bei Einlieferung. Wirkt beeinträchtigt. Kreislauf zunehmend instabil mit sinkendem Blutdruck. Überweisung zum CT , verweigert Bluttransfusion. Witwe. In Begleitung minderjähriger Tochter. Fremdanamnese größtenteils durch einen Nachbarn und guten Freund, Johannes Skoglund, der zugegen ist.«
    Es war fast achtzehn Jahre her, seit Veronika Lundborg diese Einschätzung am Ende der Erstuntersuchung diktiert hatte. Herbst 1993. Die dritte Katastrophe war eingetroffen. Erst Papa, dann Sam, der nach Kalmar ging, und dann Mama.
    Ihr war natürlich bekannt, dass man die Krankenakten von Angehörigen nicht einfach so anfordern konnte, die Schweigepflicht untersagte das. Doch die Akte ihrer Mutter war nun zufällig auf ganz anderen Wegen in ihre Hände gelangt.
    Es geschah immer häufiger, dass die Angehörigen die Krankenakten ihrer verstorbenen Verwandten anforderten. Man traute den Ärzten nicht mehr, man wollte gründlicher kontrollieren, ob auch alles mit rechten Dingen zugegangen war, man wollte mit eigenen Augen sehen. War es dann leichter zu trauern? Heutzutage musste immer alles offen sein. Vielen Ärzten fiel es schwer, den Angehörigen die Bitte abzuschlagen, weil das nur noch mehr Misstrauen nach sich zog.
    Die Schweigepflicht sollte das Individuum bis über den Tod hinaus schützen. In einer Krankenakte konnten durchaus Dinge stehen, von denen der Verstorbene nicht wollte, dass seine Angehörigen sie erfuhren. Wie sie gelitten hatten oder dass sie körperliche Anomalitäten oder Krankheiten hatten oder dass sie Eingriffe hatten machen lassen, von denen niemand in der Verwandtschaft etwas wissen sollte. Man nehme nur einmal Abtreibungen oder Fehlgeburten. Der Mensch hatte ein Recht auf seine Geheimnisse.
    Sie hatte nicht einmal mit den Menschen, die sie gut und lange kannte, über ihre Kindheit in Hjortfors gesprochen. Alle glaubten, dass sie ausschließlich in Oskarshamn aufgewachsen sei. Es würde ja doch niemand verstehen, allen würde sie nur leidtun, und das war abscheulich. Oder man würde davon ausgehen, dass sie bei dieser Kindheit nicht normal sein könnte. Es war alles so kompliziert und schwierig und würde so viele unmögliche Erklärungen erfordern.
    Hilda nahm kleine Schlucke von dem Rotwein. Sams Stimme hallte im Treppenhaus. Skoglund hatte zumindest damit gerechnet, dass die Toten nicht redeten und dass Kinder nichts begriffen.
    Samuel kehrte zurück.
    »Das war jemand wegen der Arbeit«, entschuldigte er sich.
    »Wie seltsam, dass du in Hjortfors bist. Also vielleicht nicht seltsam, aber doch bedrückend und gleichzeitig gut, oder, ja, was soll ich sagen?«
    Hilda lächelte unsicher. Sam sah ihr direkt in die Augen.
    »Hilda, ich verspreche dir, es ist überhaupt nicht seltsam, wenn man erst mal dort ist. Es hat sich da einiges verändert, aber das meiste ist noch so wie früher. Aber am wichtigsten ist, dass einem dabei deutlich wird, dass das Leben weitergegangen ist. Und das gilt auch für dich, möchte ich meinen.«
    Sie machte ein ernstes Gesicht und nickte.
    »Und was sagen die dazu, dass du zurück bist?«, fragte sie.
    Er lächelte geheimnisvoll. »Sie wissen es nicht«, erwiderte er.
    Sie zog die Augenbrauen hoch. »Wie das?«
    »Ich nenne mich Sam Lager und nicht Samuel Glas. Das ist am besten so, das ganze Gerede würde mich stören.«
    Sie nickte. Das konnte sie verstehen. »Und glaubst du nicht, dass sie irgendwann dahinterkommen?«, fragte sie.
    »Wahrscheinlich schon, aber was kümmert mich das jetzt? Eine Person weiß es übrigens, aber sie tratscht nichts weiter. Du kennst sie.«
    »Wer denn?«
    »Du erinnerst dich vielleicht nicht an sie, aber sie heißt Alice.«
    »Natürlich erinnere ich mich an Alice! Wir sind in dieselbe Klasse gegangen. Ihre Mutter war nett. Sie hieß Sissela und war Designerin in der Glashütte.«
    Hilda ereiferte sich.
    »Das ist sie immer noch«, sagte Sam.

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