Tod in der Walpurgisnacht
zuvor befasst gewesen war und in dem er sich sehr engagiert hatte. Der Fall der verschwundenen Tina Rosenkvist, die von ihren Kollegen »die Rose« genannt wurde.
Während der Computer hochfuhr, konzentrierte er sich auf die Buchstaben ihres Namens. Abgesehen von ein paar Filmschnipseln ihrer Eltern und einem Video von ihrer Hochzeit vor sechs Jahren wusste er nicht, wie sie aussah. Die Kinder, so rechnete er aus, waren jetzt knapp fünf und drei Jahre alt.
Tina bewegte sich leichtfüßig, sie war groß, schlank und lebenslustig. Ein fröhliches Mädchen. Er war ihr nie begegnet, und wahrscheinlich würde das auch nie geschehen. Zumindest nicht lebend.
Alle Kräfte waren eingesetzt worden und doch kein brauchbarer Hinweis im Mai vorigen Jahres, oder war es Anfang Juni gewesen? Spurlos verschwunden, wie die Massenmedien zu schreiben pflegten. Bisher war der Fall noch nicht Gegenstand einer dieser Fernsehsendungen gewesen, wo nach verschwundenen Personen gesucht wurde. Die Hoffnung wurde mit der Zeit immer schwächer.
Am Freitag war der Hinweis bei der Zentrale eingegangen. Dann war er an die Kripo weitergeleitet worden, um schließlich auf seinem Schreibtisch zu landen.
Er war ausnahmsweise mal allein, Özen hatte frei. Es konnte nicht anders als ein psychologisches Training angesehen werden, dass er sich das Büro mit Mustafa Özen teilen musste. Es gab nur wenige Menschen, die Lerde so nervten wie er.
Das hatte nichts mit Özens Herkunft zu tun, dass er aus Malmö stammte und einen Skåne-Dialekt sprach, dass sich einem die Ohren einrollten. Özen war durch die harte Schule von Rosengård gegangen, einem berüchtigten Stadtteil von Malmö. Harter Typ, aber jetzt weich. Schon das konnte einem auf den Wecker gehen, meinte Lerde. Allerdings für einen Polizisten eine ausgezeichnete Kombination. Özen hatte es im Blut, wie die Gangmentalität funktionierte, und er wusste, wie man Druck aufbaute.
Noch weniger hatte Lerdes Ärger damit zu tun, dass Özens Ursprungsfamilie aus der Türkei stammte. Martin Lerde würde seine Zeit hier auf Erden nicht mit etwas so Sinnlosem und Armseligen wie Fremdenfeindlichkeit verschwenden.
Nein, sein Ärger hatte vielmehr damit zu tun, dass Özen innerhalb relativ kurzer Zeit hochgekommen und an ihm vorbeigezogen war, und das tat weh.
Wann hatte Claesson denn das letzte Mal gesagt, dass er, Martin Lerde, einen phantastischen Einsatz geleistet hatte? Das war überhaupt noch nie geschehen.
Aber heute war Özen ja nicht da. Lerde schob die Gedanken an seinen Bürokollegen beiseite und las noch einmal den Hinweis.
Die Anruferin wollte anonym bleiben. Sie hatte am Freitag um vierzehn Uhr sechzehn von einer unbekannten Handynummer angerufen und gesagt, sie befände sich in Kalmar und habe Pär Rosenkvist in einem gesondert angegebenen Bekleidungsgeschäft gesehen, wo er diverse Frauenkleider gekauft und bar bezahlt habe. Dann war er zu seinem Auto gegangen, das am Hafen geparkt gewesen sei, und sei davongefahren. Die Anruferin hatte keine weitere Person im Auto sitzen sehen, Pär Rosenkvist schien also allein gewesen zu sein. Die Kleider, die er gekauft hatte, seien in Größe vierzig gewesen. Es handelte sich um lange Hosen und Pullover, aber auch um Unterwäsche. Unterhosen und zwei BH s. Die Anruferin hatte sogar noch darauf hingewiesen, dass beide Teile »ein wenig luxuriös« gewesen seien, mit viel Spitze und in »schicken Farben«, rosa und schwarz mit roten Bändchen und Rosetten.
Martin Lerde dachte darüber nach, warum er seiner Freundin niemals Unterwäsche gekauft hatte. Seiner Exfreundin, besser gesagt.
Aber diese Art von Geschenken war nicht so sein Ding. Er kaufte ein Buch oder Musik oder eine Thermoskanne für gemeinsame Ausflüge. Vielleicht war es deswegen schiefgegangen. Zu wenig Sex und Romantik. Er war zu praktisch veranlagt, als dass es ihm in den Sinn käme, solchen Kram zu kaufen. Stimmte vielleicht irgendwas nicht mit ihm? War er gehemmt oder phantasielos, oder was? Zu wenig physischer Kontakt, hatte sie einmal gesagt. Was meinte sie denn damit? Zu wenig Körper?
Er versuchte, nicht mehr an seine Ex zu denken. Die Frage, die ihn beschäftigen sollte, war natürlich, für wen Rosenkvist die Sachen gekauft hatte. Hatte er eine neue Frau?
Vermutlich. Das musste er nachprüfen. Und wenn nicht: Für wen waren die Kleider dann?
Ganz oben stand, dass den Informationen ein Bild angehängt worden sei, doch Martin Lerde konnte keines entdecken. Entweder war es
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