Tod in der Walpurgisnacht
gleichzeitig ein CT vorbereitet, also Computertomografie, um zu sehen, was es war, und um das Loch schließen zu können.«
Sams graugrüne Augen blickten aufmerksam.
»Doch es ist nie so weit gekommen, dass sie das Loch hätten schließen können«, sagte sie. »Sie verblutete, weil man ihr in der Zwischenzeit keine Bluttransfusionen geben durfte. Skoglund hat es verboten und Mama auch.«
»Warum denn das?«
»Es gibt Menschen, die gegen Bluttransfusionen sind«, fuhr sie in ernsterem Ton fort. »Skoglund hat behauptet, Mama würde einer solchen Gruppe angehören. Die sagen, es wäre gegen Gottes Willen, fremdes Blut entgegenzunehmen, und es würde auch in der Bibel stehen, dass es verboten sei.«
»Soll das heißen, dass man lieber einen Menschen sterben lässt?«, fragte Sam entrüstet.
»Ja.«
»Menschen, die man retten könnte?«
»Ja.«
»Auch Kinder?«
»Bei Kindern ist es so, dass der Staat kurzfristig die Vormundschaft übernimmt. Man entzieht sie den Eltern, um die Kinder mit Blutprodukten behandeln zu können, und nach der Behandlung erhalten die Eltern die Vormundschaft zurück.«
»Das klingt ja nach einer Sekte!«
»Kommt drauf an, wie man das definiert, aber ich sehe das auch so.«
»Aber Mama hat doch nicht einer solchen Gruppe angehört, oder?«, fragte Sam.
»Nein, soweit ich mich erinnere nicht.«
Sie gingen jetzt langsam in Richtung See. Hilda wollte das alles endlich loswerden.
»Aus einer Gemeinschaft ausgeschlossen zu werden, die einem viel gibt, das ist nicht leicht, das ist schon klar«, sagte sie. »Aber du kannst die Akte ja mal lesen, wenn wir wieder zu Hause sind. Ich kann dir helfen und alles erklären. Die Schweigepflicht ist mir in diesem Fall ganz egal.«
»Wie ist das denn in deine Hände gekommen?«
»Durch Zufall. Aber vielleicht war es ja auch Gottes Wille«, scherzte sie und erklärte ihm kurz von ihrem Forschungsvorhaben. »In der Akte steht, Skoglund habe behauptet, Mama könne auf keinen Fall Blut bekommen, und daraufhin fragten die Ärzte, es waren zwei, noch Mama, ob das stimme. Das Protokoll besagt, sie habe auf die Frage, ob es stimme, dass sie keine Blutkonserve wolle, genickt. Sie konnte kaum noch sprechen, die Blutwerte waren zu diesem Zeitpunkt extrem niedrig. Sie konnte kaum noch atmen, geschweige denn ein Wort über die Lippen bringen. Außerdem steht dort, dass sie ganz gelbweiß gewesen sei, auch ihre Lippen. Man muss alles, was irgendwie relevant ist, in der Akte notieren und oft noch ein bisschen mehr, um als Arzt auf der sicheren Seite zu sein. Aber es muss ein schreckliches Gefühl gewesen sein, einfach nur dazustehen und nichts tun zu dürfen, obwohl man ja weiß, was erforderlich wäre«, sagte sie.
»Das ist doch Mord«, sagte Sam.
Hilda zuckte die Schultern.
»Es ist nicht erlaubt, Patienten gegen ihren Willen zu behandeln.«
»Aber wie konnte sie denn dem zustimmen, was Skoglund gesagt hat?«, fragte Sam.
»Ich weiß es nicht, und wir werden es auch nie erfahren.«
»Vielleicht hat Skogis sie manipuliert. Dass sie sich bei ihm geborgen fühlte und sich nun, da Papa tot war und sie allein, von jemandem lenken ließ«, meinte Sam.
»Oder sie war durch den Blutverlust so verwirrt, dass sie nicht wusste, was sie tat. Kann auch sein, dass sie deprimiert war und am liebsten aufgegeben hätte, wer weiß.«
»Konnte man denn nicht etwas anderes anstelle von Blut geben?«, fragte Sam.
»In gewissem Umfang schon. Man bringt andere Flüssigkeiten ein, aber die roten Blutkörperchen können durch nichts anderes ersetzt werden. In der Zukunft wird das mal möglich sein, schließlich fehlt es an Blutspendern, und man möchte das Ansteckungsrisiko vermeiden.«
Sie blieb stehen und sah ihn an.
»Aber warum hat Skoglund erfunden, dass Mama in einer religiösen Gruppe war?«
»Ich habe keine Ahnung. Du?«, fragte sie.
Er starrte zu Boden. »Nee«, sagte er.
»Das Einzige, was mir dazu einfällt, ist, dass er sie loswerden wollte«, sagte sie dann.
Die Folgefrage hing in der Luft: Warum?, doch keiner von ihnen sprach sie aus. Es war, als wäre die Frage noch nicht reif, als bräuchten die Ahnungen noch etwas Zeit, um Form anzunehmen.
Der Himmel hing schwarz über ihnen und schien sich jeden Moment zu entladen.
»Sollen wir umkehren?«, fragte Sam, und als er hochschaute, schimmerte der Himmel dunkel in seinen Augen.
Hilda blieb stehen, sie konnte nicht antworten. In der Ferne war ein dumpfes Grollen zu hören.
»Ich habe immer gedacht,
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