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Tod in der Walpurgisnacht

Tod in der Walpurgisnacht

Titel: Tod in der Walpurgisnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Wahlberg
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er und starrte sie an.
    »Sie ist verblutet.«
    »Wie meinst du das?«
    »Was ich jetzt erzähle, habe ich mir nicht ausgedacht, sondern in Mamas Krankenakte nachgelesen«, fuhr sie fort. »Ich bin damals mit im Krankenhaus gewesen, aber ich habe eh nicht so viel begriffen, denn ich war noch zu klein. Doch jetzt, nachdem ich die Akte gelesen habe, sind einige Erinnerungen wach geworden und nun viel klarer.«
    »Und woran erinnerst du dich?«, fragte Sam.
    »Nicht viel, ich stand vor der Tür des Behandlungszimmers oder hinter einem Paravent. Wahrscheinlich gab es niemanden, der auf mich aufpassen konnte, und deshalb hat Mama mich mitgenommen. Aber jetzt rate mal, wer außer mir noch mit Mama im Krankenhaus war. Es steht in der Akte.«
    Sie war mitten auf dem Weg stehen geblieben und nagelte ihn mit dem Blick fest, bis er auch innehielt. Sie schwiegen gemeinsam.
    »Rate«, forderte sie ihn noch einmal auf.
    »Skoglund«, erwiderte Sam schließlich kurz. »Der war doch bei fast allem dabei.«
    »Genau«, nickte sie. »Skoglund hat Mama und mich hingefahren, und das war ja nett von ihm. Aber er hat die Ärzte angelogen und ihnen gesagt, dass Mama sich aufgrund ihres Glaubens weigern würde, Blutkonserven entgegenzunehmen. Wenn sie das täte, würde sie aus der religiösen Gemeinschaft ausgeschlossen. Und deshalb ist sie verblutet.«
    »Ist das wahr?«
    »Ja. Ich erinnere mich nicht an alle Details, aber es sind auch keine angenehmen Erinnerungen. Am Ende fuhren wir allein nach Hause, ohne Mama. Nur Skoglund und ich. Ich glaube, das war das Schlimmste, was ich je erlebt habe«, sagte sie und spürte einen dicken Kloß im Hals.
    Sie schluckte. Sam sah sie mit traurigem Blick an.
    »Die ganze schreckliche Fahrt nach Hause hatte ich vollkommen verdrängt«, fuhr sie fort. »Aber als ich jetzt die Krankenakte gelesen habe, erinnerte ich mich an die Dunkelheit draußen und das Schweigen im Auto. Was hätte Skoglund auch sagen sollen? Ich weiß nicht, ob er eines schlechten Gewissens fähig ist, und natürlich habe ich nicht begriffen, was da geschehen war. Ich hörte, wie Skogis im Krankenhaus sagte, dass er und seine Frau sich fürs Erste um das arme mutterlose Kind kümmern würden. Das Waisenkind, hat er wahrscheinlich gesagt, denn Papa war ja im Jahr zuvor gestorben. Ich weiß noch, dass ich nicht geweint habe. Es war einfach alles zu schlimm, als dass man hätte weinen können.«
    Doch hinterher war das verdammte Weinen gekommen, dachte sie und starrte zu Boden. Wenn sie allein im Bett lag und schlafen sollte. Abend für Abend die Tränen.
    Und jetzt. Sie fing an zu heulen.
    Sam presste ihr eine Hand zwischen die Schulterblätter, als würde er sie auf sanfte Weise wieder in der Gegenwart verankern. Sie konnte das Weinen unterdrücken, um weiterzuerzählen.
    »Ich glaube, ich habe mich gegenüber allem Schrecklichen abgeschottet. Ich kann mich nicht an alles erinnern«, sagte sie. »Doch es hat eigentlich die ganze Zeit an mir genagt. Dinge, die unbegreiflich sind, kriegt man nicht klein. Und ich bin dann auch noch Ärztin geworden«, sagte sie und verzog den Mund. »Vielleicht bin ich das geworden, um das alles besser verstehen zu können, also wenn man es mit Freud hält, dann liegt das nahe. Viele, die in der Pflege arbeiten, haben irgendwelche Kindheitserlebnisse mit Krankenhäusern hinter sich.«
    »Aber Schwesterchen, du bist ja wohl Ärztin geworden, weil du so gut bist. Immer Klassenbeste«, wandte Sam ein.
    Er sagte es völlig ohne den höhnischen Unterton, den sie von anderen gewohnt war: tüchtig, strebsam, langweilig und trist, aber schlau.
    Sie war so aufgeregt, dass die Worte nur so aus ihr heraussprudelten. Sam sah sie ernst von der Seite an.
    Sie holte ein paarmal tief Luft, um sich zur Vernunft zu bringen, und fuhr dann fort:
    »In Mamas Bauch war eine zur Milz führende Ader geplatzt. Wenn man eine Ausbuchtung in einem Blutgefäß hat, nennt man das Aneurysma. Dann ist die Gefahr groß, dass die Wand des Blutgefäßes eines Tages platzt, dass der Patient einen Blutungsschock erleidet und leichenblass wird. Das war geschehen. Das Blut sammelt sich dann im Bauch und verteilt sich um den Darm. Sie hat weder Blut gespuckt, noch hatte sie blutigen Stuhl. Das sind die Dinge, die man als Arzt bedenkt, wenn man herauskriegen muss, was das Problem sein kann. Als Mama leichenblass auf der Bahre reingerollt wurde, haben sie im Krankenhaus sehr schnell geahnt, was es sein könnte. Sie haben Bluttransfusionen und

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