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Tod in der Walpurgisnacht

Tod in der Walpurgisnacht

Titel: Tod in der Walpurgisnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Wahlberg
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Alexandersson nahm auf ihrer persönlichen Liste von Idolen unbestritten den ersten Platz ein, aber es war auch klar, dass er auf den Listen von allen ganz oben zu finden war. Er besaß Integrität, wie Veronika es auszudrücken pflegte. Ein schmaler Mann mit heller Haut und früher einmal roten Haaren und vielen Sommersprossen. Jetzt war das Haar weiß und die Haut marmoriert. Er war engagiert, aufgeschlossen, freundlich und entspannt. Zumindest meist.
    »Er zögert aber auch nicht, auf den Tisch zu hauen, wenn es notwendig ist«, erzählte Veronika, als sie einmal zusammensaßen und etwas tratschten. »Das ist das Beste an ihm, dass er ganz klar ist. Die Leute, die immer nur nett sind und alles einstecken, werden auf Dauer nämlich tierisch anstrengend.«
    Nummer zwei auf Hildas Liste war Veronika, vielleicht zusammen mit Fresia. Beide waren gut darin, Dinge zu erklären, und hatten eine gesunde Distanz, sowohl zu sich selbst als auch zur Arbeit, und konnten zudem noch sehr unterhaltsam sein. Ansonsten war Humor in der Pflege kaum gefragt. Abgesehen von den rein medizinischen Dingen wurde während der Ausbildung hauptsächlich über ernste Themen gesprochen: das Leiden und den Tod, wie man schlechte Nachrichten überbrachte, wie man Empathie lernte und sich die Empathie, die man vor Beginn der Arztausbildung besessen hatte, bewahrte, wie man Zynismus und Burn-out vermied, wie man eine Anzeige überlebte und mit sogenannten schwierigen Patienten und Angehörigen umging.
    Es war nicht wenig, was man beherrschen sollte. Hilda versuchte sich einzureden, dass sie nicht alles auf einmal können musste, denn sonst würde ihr wahrscheinlich schlecht werden vor Stress. Es musste schließlich noch Entwicklungspotenzial geben. Ihre Kommilitonen sahen das genauso. Und dann war da noch die Angst. Die Angst, Fehler zu machen, begleitete sie mehr oder weniger die ganze Zeit und nagte an ihnen.
    Sie hatte mit ihren Kleiderentwürfen und -ideen noch ein anderes Leben neben dem Job, und das wurde allerorten auch für sehr gesund befunden. Man sollte ein echtes Leben neben dem Beruf haben, und das sollte am besten auch gut entwickelt sein. Eigentlich war das so selbstverständlich, dass man es gar nicht groß erwähnen musste. Kollegen mit kleinen Kindern kriegten von dem ganzen Gerede schon zu viel, denn die waren mehr als zufrieden, wenn sie den Alltag überhaupt auf die Reihe kriegten.
    Sie war feige. Scheinbar bedeutete ihr die Sicherheit eines festen Einkommens so viel, dass sie es nicht wagte, auf das zu setzen, was ihre eigentliche Leidenschaft war, nämlich das Nähen. Außerdem zweifelte sie daran, dass sie gut genug war, schließlich gab es so viele, die den Traum hegten, etwas mit Mode zu machen. Auf der anderen Seite war der Arztberuf von einer seltsamen Atmosphäre umgeben, an die sie sich zu gewöhnen versuchte. Am wenigsten Sorgen bereiteten ihr die handwerklichen Dinge. Ihre Hände, die ihre Sicherheit bedeuteten, würden ihr wahrscheinlich auch als Ärztin gute Dienste leisten.
    Veronika schien das meiste im Griff zu haben und war außerdem ziemlich normal, das hatte sie mit Ronny Alexandersson gemeinsam. Hilda hingegen hatte nicht genügend Selbstvertrauen, um mit Leuten umzugehen, die Oberwasser hatten, in so einem Fall zog sie sich lieber zurück. Veronika war siebenundvierzig Jahre alt, das hatte sie selbst erzählt, war schlank und hatte einen federnden Schritt. Hilda schätzte, dass sie ungefähr eins achtundsiebzig maß, während sie selbst eins siebzig groß war, was nicht ganz schlecht war, wenn sie auch gegen ein paar Zentimeter mehr nichts einzuwenden hätte. Dann saßen die Kleider einfach besser. Veronika war es aber scheinbar völlig egal, wie die Kleidung saß, sie hatte kein Bewusstsein für das, was sie trug. Scheinbar waren »bequem und praktisch« ihre Grundbedingungen, wenn sie sich etwas Neues kaufte. In dieser Hinsicht konnte niemand in der Klinik einen größeren Gegenpol zu Hilda darstellen als sie. Und doch funktionierte es ganz wunderbar mit ihnen beiden in dem engen Raum, den sie sich schwesterlich teilten.
    Veronika war beneidenswert. Ein Mensch, der sowohl im Privaten wie im Beruflichen verschiedene Entwicklungsstadien durchlaufen hatte und der dennoch einigermaßen normal geblieben war und überhaupt nicht die Langeweile und die Stagnation des mittleren Alters ausstrahlte.
    Hilda biss sich durch, der Magen schmerzte manchmal, in manchen Nächten fand sie keinen Schlaf. Es gab so viel

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