Tod in der Walpurgisnacht
wenig verwundert. Es stand ihm nicht »verdächtigter Ehemann« auf die Stirn geschrieben.
»Er ist nicht verurteilt worden«, erinnerte Veronika.
»Noch nicht«, entgegnete Fresia trocken.
»Immerhin hat er noch keine neue Frau, das ist doch schon mal was«, meinte Veronika.
»Wer würde es auch wagen, sich mit dem einzulassen?«, fragte Fresia.
»Sag das nicht!«
Hilda hörte schon nicht mehr zu. Sie starrte auf das kleine Mädchen, das neben seinem Vater herlief. Es war vielleicht fünf oder sechs Jahre alt, hatte halblanges, weißblondes, dünnes Haar und trug einen rosa Pullover mit einer Figur auf dem Bauch. Wie in aller Welt lebte dieses Mädchen jetzt?, fragte sich Hilda. Es musste im Niemandsland herumirren, in einer Gegenwart voller messerscharfer Glasscherben.
Dieses Mädchen könnte sie selbst gewesen sein.
»Wollt ihr Kaffee?«, fragte Fresia, stand auf und nahm die Bestellungen der Kolleginnen entgegen.
Da war zunächst einmal ihr Umfang, dachte Hilda und folgte Fresia mit dem Blick zum Kaffeeautomaten. Fresia war auf ansprechende Weise füllig, üppig und nicht fett. Oder kurvenreich, so wie die »Urmutter«, wie Hildas Schwedischlehrer zu sagen pflegte. Dabei war er in keiner Weise suspekt gewesen, sondern einfach ein bisschen altmodisch. Als Schüler hatten sie ihn gemocht, denn er erzählte so anschaulich, dass man die Bücher fast nicht lesen musste, was zum Teil erklärte, warum Hjalmar Söderbergs »Doktor Glas« immer noch ungelesen dalag.
Fresias Interesse für das, was sie anzog, endete offenkundig bei der Arbeitskleidung, was ihr natürlich einige Freiheit gab, dachte Hilda. Ihr Geschmack war ungeübt.
Fresia kam mit dem Tablett zurück und verteilte die Tassen.
In ihrer Phantasie hatte Hilda Fresia auf unterschiedliche Weise aufgepeppt. Die Schneiderin, bei der Hilda in Lund gelernt hatte, verwendete immer diesen Ausdruck »aufpeppen«. Nicht »verändern«, denn das klang so drastisch, und manch einer wehrte sich gegen diese Vorstellung, wenngleich es auch verlockend sein konnte, »wie neu« zu werden, hatte ihnen die Schneidermeisterin aus ihrer langen Erfahrung berichtet. Kleider waren ebenso wie Schminke und andere äußere Stilmerkmale wichtig und durften nicht als unnötiger Kram beiseitegeschoben werden, das hatte sie immer mit ernster Miene betont. Wollte man als ein schüchternes, kleines Mauerblümchen daherkommen oder wie eine richtig taffe Person? Man musste Stellung beziehen, nachdenken und sich selbst analysieren. Inhalt und Verpackung mussten übereinstimmen, betonte sie. Schließlich konnte man sich immer verändern, eine äußere Veränderung führte oft auch zu einer inneren. Man konnte sich schick machen oder weniger schick. »Ist das nicht herrlich?«, hatte sie oft gesagt und dabei die Jacketkronen entblößt, die blauweiß zwischen den rotbemalten Lippen schimmerten. Ein dunkler Konturstift hielt den Lippenstift am Platz. Alles war perfekt. Fast immer.
Fresia Gabrielsson sollte Kleider tragen, die ihren Umfang auf schöne Weise betonten, das war Hildas feste Überzeugung, die sie aber noch nicht verkündet hatte, und vielleicht würde sie das auch nie tun. Man musste sich schon sehr gut kennen, um einen ungebetenen Rat in Kleidungsfragen zu geben.
Die Kleider, die sie in ihrer Phantasie geschaffen hatte, würden Fresia unglaublich gut stehen. Sie wären aus einem fließenden Stoff, der in der Taille – denn Fresia hatte eine Taille – ein klein wenig schmaler wäre, der aber Ober- und Unterkörper nicht trennen, sondern ein Ganzes schaffen würde, das verlängerte und schlank machte. Weiblich, mit tiefem V-Ausschnitt, so dass man den Spalt zwischen den Brüsten erahnen konnte. Und aus einem festen Material, aber gern mit Stretch und weicher Oberfläche. Keine dicken und steifen Stoffe, die den Körper einbackten wie in Teig. Wollcrêpe oder Wolljersey im Alltag und Crêpe de Chine an Feiertagen. Petroleumgrau oder Senfgelb wäre schön. Und dazu ein langer Schal, im Sommer aus Leinen oder Baumwolle, im Winter Seide oder ein Wollstoff.
Sowohl Fresia wie auch Veronika schlurften meist in Jeans herum und dazu in Pullovern in Farben, die zu allem passten, aber niemandem wirklich standen. Dazu Sportjacken, Sportschuhe und ein Rucksack. Fjällräven, Haglöfs, The North Face oder eine andere etablierte Marke, die für gute Qualität stand und auch ein widriges Klima aushielt. Die weibliche Ärzteschaft war, von wenigen Ausnahmen abgesehen, also ausgesprochen
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