Tod in der Walpurgisnacht
zog den Zündschlüssel ab, behielt aber beide Hände am Lenkrad und starrte durch die Windschutzscheibe auf die Hütte und die angrenzenden Gebäude.
»Es hat etwas Besonderes mit Glas auf sich«, sagte er, verstummte dann und bekam einen verklärten Blick.
»War nicht außer Sand noch was mit Pottasche und Blei?«, fragte Claesson.
Inzwischen hatte sich die Erinnerung an das, was er in der Schule über die Herstellung von Glas gelernt hatte, Bahn gebrochen.
»Doch, in Kristallglas ist Blei enthalten. Es gibt massenhaft verschiedene Zutaten, je nachdem, welche Sorte Glas man herstellen will, zum Beispiel Soda und Kalk in Sodaglas. Nicht alles ist dabei so ganz gesund!«, sagte Lundin. »Die Rohwaremischung wurde hierzulande › mäng ‹ genannt, und das stammt wahrscheinlich vom deutschen › Gemenge ‹ , was Mischung bedeutet. Das war eine staubige Angelegenheit und natürlich sehr ungesund. Inzwischen ordern die Glasbläsereien ihr Gemenge aus einer Anlage in Emmaboda, die ein geschlossenes System hat, und die Mischung kommt als Pellets, so wie getrocknetes Korn. Das ist, was die Gesundheit der Arbeiter angeht, natürlich viel besser.«
»Das heißt, in den Glashütten wird nicht mehr mit giftigen Substanzen gearbeitet?«, fragte Claesson.
Lundin begriff, worauf Claesson hinauswollte.
»Keine Ahnung. Du meinst, ob jemand diese Person erst vergiftet haben könnte, bevor …«
»Genau.«
Lundin zuckte die Schultern.
»Vielleicht gibt es noch irgendwelche alten Reste, was weiß ich? Das müssten wir nachprüfen. Wenn das Opfer überhaupt eine Verbindung zur Glasfabrik hat.«
»Das wird sich zeigen«, meinte Claesson. »Aber noch etwas ganz anderes: Meinst du, wir könnten irgendwo etwas zu trinken bekommen? Ein Mineralwasser würde guttun.«
Sie stiegen aus. Claesson sah auf die Uhr. Es war gleich elf, und dann würde die Glasboutique aufmachen. Allmählich fuhren immer mehr Autos auf den Parkplatz. Er fragte sich, ob der makabre Todesfall wohl mehr Leute in den Ort zog. Vielleicht meinte man, gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen zu können: Glas einkaufen und den Hauch eines bösen, gewalttätigen Todes verspüren.
Sie entdeckten ein Restaurant. Claesson ging los und kam kurz darauf mit einer Flasche Mineralwasser in jeder Hand zurück. Er reichte Lundin die eine. Sie lehnten sich an das Auto, so dass sie die Sonne im Gesicht hatten. Claesson hielt die Nase an seine Jacke und schnüffelte.
»Meine Güte, wie ich stinke«, stellte er fest und trank aus der Flasche. »Welche Sorte Glas hat man hier anfangs hergestellt?«, fragte er.
»Zier- und Haushaltsglas, Fensterglas, Apothekerglas, Lampenglas, Kuppeln und Ölgefäße für Petroleumlampen. Mit dem Aufkommen der Elektrizität zu Beginn des 20. Jahrhunderts stieg die Nachfrage nach Beleuchtungsglas«, erklärte Lundin und hielt die leere Mineralwasserflasche vor sich. »Zudem brauchte man immer mehr Flaschen, weil die Brauereien zahlreicher wurden.«
Wenn sie ihren Durst gelöscht hatten, wollten sie in die Hütte gehen.
»Doch man hat in Hjortfors sogar feines Kristall hergestellt«, konnte Lundin berichten. »Ich besitze eine geschliffene Karaffe aus den Zwanzigern, die stammt aus meinem Elternhaus und hat in der Wohnung in Oskarshamn immer ganz oben auf dem Regal im Wohnzimmer gestanden. Mein Großvater und mein Vater haben Holz an die Glashütte verkauft.«
Lundin ging mit den Flaschen zurück ins Restaurant. Cla esson kam ein Mann entgegen, der ihn vage wiedererkannte. Der ernsten Miene des Mannes zufolge ging es hier nicht um einen erfreulichen Zusammenhang. Aber die Zusammenhänge, in denen er unterwegs war, waren auch selten erfreulich.
Der Mann baute sich breitbeinig vor Claesson auf und betrachtete ihn eine Weile mit finsterem Blick.
»Ermitteln Sie in der Sache mit dieser Leiche auf dem Feuer?«, fragte er in einem Ton, als würde er erwarten, dass man ihn kannte.
»Worum geht es?«, fragte Claesson.
»Ist es Tina?«, fragte der Mann.
Claesson dachte angestrengt nach. Tina?
»Die Identifizierung ist noch nicht erfolgt«, erklärte er wahrheitsgemäß.
Er hatte den Vater von Tina Rosenkvist vor sich.
»Sind Sie extra hierhergefahren?«, fragte er Tinas Vater, dessen Name ihm plötzlich entfallen war.
»Wir haben hier in der Nähe eine Hütte.«
Claesson nickte. Bengt Almgren, jetzt fiel es ihm ein. Der arme Kerl!
»Ich bin dabei, Geld zu sammeln, um Leute engagieren zu können, die mir helfen, Tina zu finden«,
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