Tod in der Walpurgisnacht
nicht mehr mit ihr hatte reden können. Ich kam gegen zwei Uhr nachts dort an und war vollkommen erschöpft nach allem, was passiert war. Also habe ich mich hingelegt und bis weit in den Vormittag hinein geschlafen. Dann saß ich da zwischen all ihren Sachen.«
Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Endlich, dachte Claesson.
»Aber Sie sind nicht nach Hjortfors zurückgefahren?«
»Nein, es war so viel zu erledigen, und ich musste die Habseligkeiten meiner Schwester aus dem Heim holen. Die brauchen ja das Zimmer so schnell wie möglich für den nächsten Patienten. Ich bin die einzige Angehörige meiner Schwester, und Johannes würde schon von sich hören lassen, wenn etwas war, das wusste ich. Es war, als ob …« Sie sah lange aus dem Fenster und suchte nach Worten. »Als ob ich einen Moment lang innehalten müsste«, fuhr sie dann ruhig fort. »Ich ließ allen Stress hinter mir und war einfach nur da. Meine Schwester und ich haben einander unser ganzes Leben lang begleitet.«
»Das heißt, woanders können Sie nicht einfach nur sein?«
»Doch, natürlich!« Sie schlug sogleich einen anderen Ton an. »Aber nicht so ungestört wie in Växjö. Johannes hat schon immer meine Aufmerksamkeit verlangt, und jetzt noch die Geschichte mit dem Magen und all das …«
»Was meinen Sie?«, beharrte er. »Erzählen Sie nur.« Diese Frau sprach wirklich mit gespaltener Zunge, dachte er.
»Die Tüte am Bauch, aber damit kommt er selbst ganz gut klar, und es war nicht schlimmer als sonst mit ihm, da musste ich mir also keine Sorgen machen. Er wird schon klarkommen, dachte ich mir und rief ihn an, um ihm zu sagen, was geschehen war.«
»Wann haben Sie angerufen?«
»So um die Mittagszeit an Walpurgis.«
»Und was hat er da gesagt?«
»Nichts. Er ist nicht rangegangen, deshalb habe ich nur eine Nachricht auf Band gesprochen. Auf den Apparat hier und auf das Handy.«
Claesson sah, dass sie plötzlich rot wurde.
»Ich habe auch Mattias angerufen und ihn gebeten, nach seinem Vater zu schauen«, sagte sie. »Natürlich fand ich es seltsam, dass ich Johannes nicht erreichen konnte, aber ich hatte keine Kraft, mich in noch eine Sorge zu begeben. Mattias kommt schließlich immer irgendwann tagsüber vorbei«, fuhr sie rasch fort. »Und Johannes konnte außerdem Gunilla Arfwidsson anrufen, wenn etwas war. Er hat schließlich immer so viel Eigenes am Laufen gehabt«, sagte sie dann so schnell und erregt, dass die Worte fast zum Kauderwelsch wurden.
»Was meinen Sie damit, dass Johannes so viel Eigenes am Laufen hatte?«
»Jede Menge Interessen. Er ist zwar inzwischen pensioniert, ist aber trotzdem noch oft in der Hütte und hilft den jüngeren Glasbläsern und alles Mögliche andere.«
»Zum Beispiel?«
»Sitzt in verschiedenen Räten und zum Beispiel im Vorstand des Vereins, der für die Allmende sorgt.«
»Die Allmende?«
»Ja, unten am See, wo das Maifeuer und der Mittsommerbaum stehen.«
Sie begriff, was sie da gerade gesagt hatte, und merkte auch, dass es Claesson aufgefallen war.
»Wie schrecklich«, brach es aus ihr hervor, doch das klang recht mechanisch. »Dass er ausgerechnet dort gestorben ist. Und vor allen Menschen.«
Fand sie das wirklich so schrecklich? Claesson ließ noch ein paar Minuten in Schweigen vergehen, ehe er aufbrach.
Hier musste ziemlich viel nachgeprüft werden, der ganze Besuch in Växjö zum Beispiel. Er hatte sich schon ausgerechnet, dass sie sehr gut, nachdem die Schwester verstorben war, in der Nacht vor Walpurgis nach Hjortfors hätte fahren können. Dort hätte sie ihren Mann umbringen, seine Leiche auf dem Scheiterhaufen ablegen und dann nach Växjö zurückfahren können, um in der Wohnung ihrer Schwester auszuschlafen.
Doch dann hätte sie jemanden haben müssen, der ihr half. Wer könnte das sein? Es war kaum anzunehmen, dass diese magere Frau stark genug war, um einen leblosen Körper zwischen das Feuerholz zu schieben.
Er sah, dass Mariana Skoglund plötzlich eine Leere ausstrahlte. Sie waren alle müde. Dann fragte er noch, wer Gunilla Arfwidsson war, und erhielt zur Antwort, dass es die Gemeindeschwester war, die ihrem Mann mit dem Stoma half.
Er erinnerte sich an einen Arfwidsson, den sie schon am Morgen auf dem schönen Hof besucht hatten, der auf der anderen Seite des Sees lag. Der Tag war lang gewesen, und es kam ihm vor, als wäre es schon mehrere Tage her, seit sie Anders Arfwidsson besucht hatten, den Mann mit dem Gipsfuß, den Nachkommen eines der Gründer der
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