Tod in Garmisch
Außerdem war Sonntag. War das eine Zeit für
Tote? Und was hatte Baier damit zu tun? Er nahm einfach mal an, dass Baier zwar
nicht dem Wahnsinn anheimgefallen war, aber doch an seniler Bettflucht litt.
Denn wenn da einer tot war, würde der kaum töter werden. Gerhard hatte keine
Lust, wie ein Fernsehkommissar zu den unmöglichsten Zeiten durch die Nacht zu
pilgern. Auch er hatte so was wie Dienstzeiten.
Er sammelte sich langsam. Schwang die Beine zur Seite, während er
versuchte, gleichzeitig das Handy festzuhalten. Es entglitt ihm. Er wand sich
aus dem Bett; er war in dem Alter, wo der morgendliche Kreuzschmerz einen zu
seltsamen Krabbeleien zwang, wo man seitwärts-auswärts robbte, weil das Kreuz
energetisches Aufspringen sofort mit Höllenschmerz quittierte. Gut, er wollte
sich schon länger mal ‘ne bessere Matratze kaufen; der uralte Futon, den er nie
aufrollte, war ein Bandscheibenkiller. Er fummelte nach dem Handy, aus dem
Baier plärrte.
»Weinzirl? Weinzirl, sind Sie verstorben?«
»Nein, ich komm ja schon.«
»Gut, in zwanzig Minuten.«
Baier war ein Witzbold! Sollte er fliegen? Gerhard unterließ alle weiteren
Fragen. Was Baier da eigentlich zu suchen habe. Ob denn keine Kollegen vor Ort
seien. Was ein Toter in einer Bank mache. Das würde sich später klären, einen
Baier ließ man nicht warten. Früher nicht und heute auch nicht. Gerhard
schöpfte sich kaltes Wasser ins Gesicht, zog Jeans und T-Shirt an, stürzte
zurück ins Bad, wo er schnell noch mit dem Deostick unter dem T-Shirt
rumfuhrwerkte. Er griff sich eine Jacke und stolperte über Seppi, der ihn
verschlafen ansah. Sein Blick war unmissverständlich: Spinnst du, weißt du, wie
spät es ist?
»Kumpel, ich weiß, du brauchst deinen Schönheitsschlaf, kannst du
nachher selber aufs Klo gehen?«
Wieder ein Mitleidsblick, der besagte: Ich bin schon groß, ich kann
allein Pipi.
»Guter Bursche!« Gerhard stürzte über die Terrasse nach draußen.
Seppi hob kurz den Kopf und sank dann mit einem Grunzen in sich zusammen.
Gerhard grinste. Mit diesem Hund hatte er das große Los gezogen.
Seppi, eigentlich Sir Sebastian, war kein Kleber, der nicht allein bleiben
konnte. Im Gegenteil: Der Irish-Wolfhound-Rüde war ein unabhängiger Geist, der
gerne mal allein auf der Terrasse saß und ins Land einiblickte. Er spielte auch
begeistert mit dem Hund der Vermieter, drehte seine Runden in deren schier
endlosem Areal und hatte keinerlei Ambitionen, zu jagen. Es war eher so, als
schreite er nachdenklich durch seine Ländereien. In seinen Augen lag eine Spur
des Unergründlichen, sein schräg gelegter Kopf machte aus dem Hund den
Philosophen. Auch Gerhards Angst, dass er auf die Straße hinausstürmen könnte,
hatte sich als unbegründet erwiesen: Er mied sie wie der Vampir das Licht oder
den Knoblauch. Wilhelmine hatte ihm erzählt, dass er in Rumänien mal angefahren
worden war, das hatte er sich wohl gemerkt. Wilhelmine, erst gestern hatte er
mit ihr telefoniert. Wilhelmine, seine schöne Bekannte aus Bras¸ov. Sein Magen
machte ein kleines Hüpferchen, ein anderes Teil auch … Das kam ihm alles vor,
als wäre es Ewigkeiten her, dabei war es letzten Winter gewesen. Natürlich
wollte er Wilhelmine besuchen, und natürlich hatte er sie eingeladen. Aber sie
konnte sich das Ticket nicht leisten, und von ihm hätte sie nie ein Geschenk
angenommen. Er hatte ihr sogar angeboten, dann eben kein Flugticket zu kaufen,
sondern eins für den abenteuerlichen Bus, der von Rumänien nach Fröttmaning
fuhr. Ein kalter, zugiger Busbahnhof in Münchens Norden, der nicht mal eine
vernünftige Wartehalle oder etwas Gastronomisches dabeihatte. Und da stand man
dann allein im Wind, und auf einmal kamen Autos von Abholern, und auf einmal kam
auch der Bus relativ pünktlich, wo er doch fünfundzwanzig Stunden unterwegs
gewesen war. Gerhard hatte mal einen Kumpel abgeholt – über Fröttmaning lag
etwas Frustrierendes, da half die Allianz Arena nebenan auch nichts. Na ja, und
Fußballergebnisse hatten ja auch oft was Frustrierendes.
Inzwischen durchfuhr er die gesperrte Straße Am Hahnenbühel. Nebel
stieg aus den Wiesen, Herbstboten vor der Zeit und Ergebnis der
Gewitterschauer, die an den Abenden aufkamen. Am Flugplatz stand wie immer das
Wasser auf der Straße, an der Moosmühle glotzten ihn ein paar Kühe an, und in
Fendt standen wie immer die Kaltblüter auf der Weide. Bei jedem Wetter, ohne
Unterstand, Gerhard fragte sich jedes Mal, ob die bei Platzregen oder
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