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Tod in Innsbruck

Tod in Innsbruck

Titel: Tod in Innsbruck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Avanzini
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zu. Es reicht. Ich weiß alles. Ich weiß, wer Isa das angetan hat. Und ich weiß, dass du es weißt.«
    Bernie öffnete den Mund und schloss ihn wieder, wie ein Fisch auf dem Trockenen.
    Vera setzte alles auf eine Karte. »Du willst ihn schützen, aber jetzt ist Schluss damit. Also rück endlich Isas Tagebuch heraus.«
    Ein Beben ging durch den Körper des Mädchens. Sie schluchzte, schluckte. Tränen liefen über ihre Wangen, unaufhörlich. Ein Dammbruch.
    Vera ließ ihr Zeit. Sie strich ihr die Haare aus dem Gesicht, strich über ihren Kopf, den Rücken. Nahm sie in den Arm.
    »Es … es … tut mir so leid, Vera.«
    »Ich weiß. Aber jetzt wird alles gut.«
    Bernie nahm das Taschentuch, das Vera ihr reichte, und schnäuzte sich. Dann stand sie auf und holte etwas aus ihrem Schrank. Fritzi. Isas Plüschesel. Sie drückte ihn Vera in die Hand.
    Zuerst begriff Vera nicht. Sie wunderte sich, wie schwer der Esel war. Erst als sie die eckigen Konturen fühlte, verstand sie. Sie öffnete den Klettverschluss an Fritzis Bauch. Ein Stück smaragdgrüner Ledereinband blitzte ihr entgegen.
    »Da war es also versteckt!«
    Und dann erzählte Bernie, was sie seit Wochen bedrückte. Sie hatte schon lange geahnt, dass mit Isa etwas nicht stimmte. Von verschiedenen Seiten schnappte sie Gerüchte auf. Vermutete etwas. Doch Isa wollte nicht darüber sprechen. Irgendwann war es Bernie zu dumm. Sie nutzte einen unbeobachteten Moment, um in Isas Tagebuch zu schnüffeln, und fand alle ihre Annahmen bestätigt.
    »Als du mir nach Isas Tod etwas von ihren Sachen schenken wolltest, habe ich mir den Esel ausgesucht, um das Tagebuch zu bekommen. Den Beweis. Ich wollte IHN damit erpressen. Wollte verhindern, dass ich rausfliege, wie er es mir angedroht hat. Aber dann …«, sie biss sich auf die Lippen, »dann habe ich mich nicht getraut. Ich war einfach zu feige.«
    Vera verstand nur Bahnhof. Wer war ER, verdammt noch mal? Ein Lehrer? Der Heimleiter?
    »Jetzt ist ohnehin alles egal. Er hat meinen Eltern schon einen Brief geschrieben. Spätestens morgen wissen sie Bescheid. Ich bin draußen.«
    War Bernie von der Schule geflogen? Oder aus dem Heim? »Deine Eltern werden es verstehen. Sie mögen dich, wie du bist. Auch wenn du mal Scheiße baust.«
    Das Mädchen schüttelte nur stumm den Kopf.
    Vera wusste, dass ihre Worte Wunschdenken waren. Eltern, die ihre Kinder um jeden Preis mochten, waren eine Seltenheit. Nicht wenige verlangten Leistungen, die sie selbst nie zustande gebracht hatten, um ihren Ehrgeiz zu befriedigen, um bei anderen Eindruck zu schinden oder aus irgendwelchen haarsträubenden Gründen.
    »Was wirst du jetzt tun?«, fragte Bernie.
    »Ich werde dafür sorgen, dass ER büßen muss.« Vera wandte sich zum Gehen. Sie konnte es nicht erwarten, nach Hause zu kommen, das Tagebuch zu lesen und endlich zu erfahren, wer sich hinter dem ER verbarg. »Ciao, Bernie. Pass auf dich auf.« Sie beeilte sich, dem engen Zimmer zu entkommen.
    So viele Probleme. So viele Ängste. So viele falsche Erwartungen.
    Hoffentlich würde Bernie ihren Weg finden.
     
    Zu Hause stürzte Vera einen Rest kalten Kaffee vom Morgen hinunter und zog sich mit dem Tagebuch in ihr Zimmer zurück. Sie blätterte durch die Seiten. Viel hatte Isa nicht geschrieben. Einige kryptische Einträge, in denen sie eine Atemübung erwähnte. Daneben hatte sie einen Totenkopf gezeichnet. Scheinbar hatte sie die Atemübungen gehasst. Aber warum?
    Dann blieb Vera an einem Datum hängen.
     
    15. Oktober 2009
    Was für ein scheiß Tag! Dabei hat es so gut angefangen. Ich habe seit letzter Woche 1,2 Kilo abgenommen, insgesamt also 7,3 Kilo bisher! In der Schule bekomme ich Komplimente ohne Ende.
    Dann die Klavierstunde. Als ich das Scherzo von Chopin gespielt habe, hat Sergej immer auf meinen Busen gestarrt, das konnte ich fühlen. Ich war ganz unkonzentriert deswegen und hab das Stück nur mechanisch abgespult. Natürlich hat er das kritisiert.
    »Mehr Leidenschaft! Weißt du, was Leidenschaft ist, Isotschka?«
    Wenn er mich Isotschka nennt, muss ich mit allem rechnen. Ich dachte, jetzt kommt bestimmt die Atemübung. Nein. Schlimmer.
    Er hat sich neben mich auf den Klavierhocker gesetzt und den Arm um mich gelegt. Hat meine Brüste gestreichelt. Ich wollte wegschauen, aber er hat mein Kinn festgehalten und mir in die Augen gesehen.
    »Bald bist du erwachsen, meine Kleine. Es wird Zeit, dass du sie kennenlernst, die Leidenschaft.« Dann hat er mich geküsst. Zuerst weich und

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