Tod in Innsbruck
wieder an? Dr. Czerny sagt doch auch, dass es dir guttun würde. Musizieren ist Balsam für die Seele, mein Täubchen.«
»Dr. Czerny ist ein Scharlatan, und meiner Seele geht es prächtig. Sie braucht keinen Balsam.«
»Wenn du ihn für inkompetent hältst, suchen wir einen anderen. Psychiater gibt es doch wie Sand am Meer.«
»Einer ist so gut wie der andere. Ich gehe ohnedies nur aus Langeweile hin. Weshalb bist du eigentlich schon zu Hause?«
»Die Kammermusikprobe lief besser als erwartet. Wir waren schon früher fertig, und da mein Schädel wie verrückt brummt …«
»Du Armer! Schon wieder Migräne? Dabei regnet es. Der Föhn kann es also diesmal nicht sein.«
»Ich habe eine Tablette genommen. Es wird schon.«
»Wusstest du, dass mangelnder Sex heftige Kopfschmerzen verursachen kann? Der Überdruck breitet sich von der Leistengegend bis unter die Schädeldecke aus.« Sonja kicherte.
Sofronsky legte seine Hand auf ihre Schulter. Spielerisch ließ er die Fingerspitzen in ihren Ausschnitt gleiten. »Hast du etwa auch Kopfschmerzen? Dann könnten wir uns vielleicht gegenseitig kurieren …«
»Lass das!« Wie eine Furie sprang sie auf, sodass der schwere Klavierstuhl nach hinten kippte und dumpf aufschlug.
Entsetzt trat Sofronsky zurück.
»Du weißt genau, dass das ein für alle Mal vorbei ist.«
»Entschuldige, ich wollte dir nicht zu nahe treten.« Sein Körper fühlte sich plötzlich schwer und schlaff an wie ein alter Sack. Er wollte den Raum verlassen, aber seine Beine gehorchten nicht.
»Du siehst beschissen aus. Ist es der Tod der kleinen Rothaarigen, der dich so mitnimmt?«
»Isabels Tod geht mir nahe, ja. Sie war eine große Begabung. Und darüber hinaus ein fröhliches, warmherziges Mädchen.«
»Warmherzig?«, kreischte sie. »Warmherzig!« Sie bog den Kopf zurück und brach in hysterisches Gelächter aus. »Du meinst, sie hatte eine enge, geile Muschi. Das ist doch das Einzige, was dich interessiert.«
Er zuckte zusammen wie unter einer Ohrfeige. Seine Hände krallten sich in den Deckel des Flügels und hinterließen feuchte Fingerabdrücke auf dem schwarzen Lack.
»Woran ist sie eigentlich gestorben?«
»Sie hatte einen Herzfehler.«
»An gebrochenem Herzen? Wie romantisch. Weil sie gemerkt hat, dass sie nicht die Einzige für dich war?«
»Ich bitte dich, Sonja, hör auf.«
»Ich habe gehört, sie hat sich zu Tode gehungert. Was für eine dumme Göre!«
»Warum bist du so kalt? Hast du kein Mitgefühl?«
Sonja näherte sich, bis er ihren Atem auf seiner Haut spürte.
»Natürlich habe ich Mitgefühl. Mit dir. Ich sehe, dass es dir schlecht geht. Vielleicht solltest du dir eine neue Schülerin für deine Spielchen suchen?«
»Wieso hasst du mich?«, brüllte er. Mit Wucht ließ er seine Faust auf die Tasten niederfallen. Der Bösendorfer schrie auf. Wie ein widriges Omen hing der schrille Missklang in der Luft und brachte die Kristallgläser in der Vitrine zum Klirren.
»Ich habe dich doch geliebt.«
»Geliebt? Du?« Sonja lachte. »Früher habe ich das geglaubt. Mit vierzehn. Damals habe ich tatsächlich gedacht, der Schweiß auf deiner Stirn und die Beule in deiner Hose hätten mit Liebe zu tun. Gott, war ich dumm!«
Sofronsky drehte sich um und ging hinaus. Wie in Trance schlüpfte er in seine Schuhe und ließ die Wohnungstür hinter sich zuschnappen.
Draußen regnete es. Das war kein lauer Sommerregen, sondern die verspätete Schafskälte, die mit eisigen Güssen und schmutzig grauen Wolkenschichten Einzug gehalten hatte. Sein Baumwollhemd war im Nu durchweicht, der Stoff klebte an seinem Körper. Er fröstelte, doch er wollte nicht mehr zurückgehen und seinen Regenmantel holen.
Hundewetter. Wenigstens würde ihm niemand begegnen. Mit großen Schritten ging er die Falkstraße entlang. Die altehrwürdigen Villen des Nobelviertels Saggen verbargen sich hinter dichten Regenschleiern, und ihre noch altehrwürdigeren Besitzer blieben unsichtbar. Einzig eine Verrückte mit knallgelben Sportschuhen joggte an ihm vorbei, dass das Wasser nur so spritzte. Sie rannte mit einer Verbissenheit, als ob sie jemandem auf den Fersen wäre. Und er? Er lief davon. Vor Sonja und ihrem Hass, vor den kurzen Röcken seiner Schülerinnen, den Nabelpiercings, den blitzenden Stringtangas, den suchenden Blicken und keimenden Brüsten, die ihm immer mehr zusetzten. Und nicht zuletzt vor sich selbst.
Sofronsky ging schneller. Er war nass bis auf die Unterhose, als er die Musikakademie
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