Tod in Kreuzberg
Matti.
»Sie war fasziniert von der mittelalterlichen islamischen Welt und glaubte, darin Neues zu entdecken … Ich weiß aber nicht, was.«
»Und die Kreuzzüge?«, fragte Matti. Er freute sich, wie Frau Weinert etwas auftaute aus ihrer Trauer.
»Ja, über die konnte sie sich richtig empören. Und als Bush von einem Kreuzzug gegen den Terror sprach, war sie so zornig. Zeitweise hatte ich sowieso die Angst, sie könnte … was Schlimmes machen.«
»Sie würden nicht ausschließen, dass sie in den Untergrund hätte gehen können?«
Frau Weinert guckte ratlos. »Sie hatte so viele Ideen. Und manche waren erschreckend. Sie hatte die Hoffnung verloren, dass sie auf … normalem Weg etwas erreichen könne. Ich erinnere mich, wie sie einmal sagte: ›Diese Terroristen sind finstere Gestalten, aber sie verändern die Welt, nicht wir. Offenbar benutzen sie die richtigen Waffen, nicht wir.‹ Es war gespenstisch, als wäre sie nicht sie selbst. Aber es war Verzweiflung, ich habe es inzwischen verstanden.«
»Ob sie deswegen ermordet wurde?«, fragte Twiggy.
Sie grübelten.
»Vielleicht hat Rosi etwas geplant, und der Staatsschutz oder der VS hat sie umgebracht. Und dann haben sie zur Tarnung einen Mörder präsentiert, ihn sicherheitshalber getötet und ihn mit Spuren vom Mord an Rosi gespickt«, sagte Twiggy.
»Puh«, erwiderte Dornröschen. »Eine ganz steile These. Aber zutrauen würde ich es denen auch.«
Wieder Schweigen.
Ein Schwarm Stare zog irrlichternd vorbei.
»Ich glaube nicht, dass Rosi es wirklich gemacht hat.Sie hat sich ja oft gemeldet, und wir haben gesprochen. Ich hätte es ihr angemerkt, wenn sie sich so stark verändert hätte.« Frau Weinert schüttelte energisch den Kopf. »Nein, so war es nicht.«
Matti nahm einen Ordner, auf dem stand RK . Als er ihn öffnete, sah er, dass es um Revolutionstheorien ging. Exzerpte und Texte, auch Quellen zu Trotzkis Permanenter Revolution, Lenins Revolutionstheorie, Guevara und Castro, Strategie der Tupamaros, Maos Volkskrieg, Meinhof, eine Kritik der Strategie und Taktik der kommunistischen Parteien, eine Studie über die Anarchisten im Spanischen Bürgerkrieg, eine Thesensammlung über Antifaschismus und revolutionäre Gewalt. »Na, dieser Ordner sagt ein bisschen was anderes.«
Dornröschen gähnte. »Ach, wir haben doch alle solche Ordner. Und sind wir im Untergrund? Du denkst schon wie die Bullen.«
Matti streckte ihr die Zunge raus, Frau Weinert lächelte.
Als sie zurück in der Okerstraße waren, verteilten sie die Ordner untereinander. Jeder sollte seine Akten Zeile für Zeile lesen. Irgendwo in diesen Papieren musste die Lösung stecken und wenn nicht, dann doch wenigstens eine Spur.
»Oder es geht wirklich nur um die Schutzgeldsache. Wenn in den Akten nichts ist, wäre das auch eine Auskunft. Dann hängen wir uns an Ali und Berkan.«
Nach zwei Tagen hatte Matti seinen Teil gelesen und nichts gefunden. In der anderen Zeit fuhr er lustlos Taxi. Auch die anderen entdeckten nichts. Sie hatten schon alles Wichtige gefunden, als sie Rosis Wohnung durchsuchten. Sie saßen enttäuscht am Küchentisch, Robbi fühlte sich vernachlässigt und jaulte. Die erste Ferkelei war gewesen, dass sie ihn fast zwei Tage allein gelassen hatten, aber dann einfach so mit einem Stapel Papier aufzutauchen und sich nur noch damit zu beschäftigen – das war die Höhe! Robbi hatte angefangen, Akten zu hassen, sinnloses Papier, das sein Personal übermäßig beanspruchte, sodass gerade mal eine Streicheleinheit hier und ein kurzes, wenn auch einseitiges Gespräch mit ihm dort abfiel. Hätte nicht mehr viel gefehlt, und dieses Pack, das er in seiner Wohnung duldete, hätte vergessen, ihm Thunfischfutter zu servieren. Er war richtig stinkig, verkroch sich auf Twiggys Bett und cancelte seinen Entschluss, das Schweigegelübde endlich zu beenden. Die würden schon sehen, was ihnen diese Akte der Missachtung eintrugen.
Am Morgen stöhnte Twiggy auf, als er wach wurde. Er lag in einer Wolke von Katzenhaaren. Am Frühstückstisch klagte er, Robbi sei wieder krank.
»Der ist nicht krank, der hat es im Kopf«, sagte Matti. »Sobald er nicht verpimpelt wird, macht er auf halb tot.«
Twiggy blickte ihn böse an. »Er leidet. Guck dir ihn mal an.«
Matti dachte nicht daran. Er konnte sich auch so vorstellen, wie Robbi auf Twiggys Bett genüsslich das Thunfischfutter leer fraß, das Twiggy ihm gebracht hatte, als könnte der arme Kater schon nicht mehr laufen.
»Willst du ihn
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