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Tod in Lissabon

Tod in Lissabon

Titel: Tod in Lissabon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Wilson
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anderen Umständen wieder zu treffen, doch keines der imaginierten Gespräche kam weit, weil ich im Grunde nur zurück in ihre abgedunkelte Wohnung mit all ihren intimen Möglichkeiten wollte. Wie würde es nach achtzehn Jahren mit einer anderen Frau sein? Ein anderer Geruch, ein anderes Shampoo, ein anderes Parfüm, anderer Schweiß?
    Wind fegte durch den Tunnel und blies mir den Geruch verbrannter Bremsbeläge entgegen. Als ich in das leere Abteil stieg, wurde die Musik deutlicher. Es war Al Green, der absurderweise »I’m so tired of being alone« sang. Warum passieren einem solche Sachen? Ich betrachtete mein verschwommenes Spiegelbild, genauer gesagt zwei Bilder, die sich überlappten, bis die beiden Türen zugingen und nur eine scharfe Kontur meines neuen Gesichts zurückblieb.
    In Martim Moniz stieg ich aus und fuhr mit einer Straßenbahn der Linie 12 voller spanischer Touristen, die plapperten, als sollten sie sich am nächsten Tag für einen Monat in ein Trappistenkloster zurückziehen. Die Straßenbahn ächzte tödlich gelangweilt bergauf. Ich stieg früher aus und ging zum Largo das Portas do Sol, um einen Hauch der frischen Abendbrise und vielleicht ein Bier abzubekommen und dabei über die roten Dächer der Alfama auf den blauen Tejo hinabzublicken, der an dieser Stelle breit wie ein See war. Die Horde der Spanier folgte mir, besetzte das Café, das ich im Auge gehabt hatte, und bestellte ungefähr fünfzig Getränke, was sich der Barkeeper mit ausdrucksloser Miene anhörte.
    Ich machte mich wieder auf die Socken, ging die Rua das Escolas Gerais hinunter und stieg in das Gassengewirr der Alfama hinab. Nach der Nacht des Santo António, in der gut und gerne eine halbe Million Sardinen gegrillt und verzehrt worden waren, roch das alte arabische Viertel nicht ganz so frisch. Jamie Gallacher wohnte gleich bei der Beco do Vigário über einem Frisör, in dem sich ein alter Mann auf einem alten Frisörsessel aus schwarzem Leder seine wöchentliche Rasur verpassen ließ. Daneben stand ein Junge mit kurzem Haar, der interessiert zusah. Der Alte strich über das Hemd des Jungen und erinnerte sich daran, wie es sich anfühlte, jung zu sein.
    Ich stieg eine enge Treppe hinauf und klopfte an die einzige Tür. Es dauerte eine Weile, bis Jamie Gallacher öffnete. Er war unrasiert, und seine Frisur erinnerte an eine geplatzte Matratze. Er trug ein zerknittertes und verblichenes Led-Zeppelin-T-Shirt und Boxershorts. In der linken Hand hielt er einen unangezündeten Joint.
    »Yeah?«, sagte er auf Englisch mit einem leichten schottischen Akzent. »Wer sind Sie?«
    »Polizei«, erwiderte ich und zeigte ihm meinen Ausweis.
    Er verbarg den Joint in der Hand und riss seine verklebten Augen auf.
    »Vielleicht kommen Sie besser rein«, sagte er höflich und fügte entschuldigend hinzu: »Verzeihen Sie das Durcheinander. Wir hatten gestern Nacht eine kleine Session.«
    Jede freie Fläche des Zimmers war mit leeren Wein- und Bierflaschen, Plastikbechern und Gläsern voller Zigarettenstummeln, überquellenden Aschenbechern und leeren Zigarettenschachteln übersät. Bilder hingen schräg an der Wand, der Teppich war voller frischer Flecken. Ein kleines Kätzchen tappte auf der Suche nach etwas Nicht-Alkoholischem durch das Chaos.
    »Ich zieh mir was über. Eine Sekunde.«
    Er hob das Kätzchen auf und ging aus dem Zimmer. Ich folgte ihm in den Flur zu einer Tür, die einen Spalt offen stand. Auf einer auf dem Boden liegenden Matratze saß ein nacktes Mädchen mit zerzausten Locken und drehte sorglos einen Joint. Langsam tauchte in ihrem Schoß ein schwarzer Fuß auf und rieb seine Zehen an ihrem Schamhaar. Sie atmete scharf ein.
    »Scheiße noch mal«, sagte Jamie und riss die Tür auf, sodass der Besitzer des schwarzen Fußes mit halb geschlossenen Augen auf die Matratze gestoßen wurde. Das Mädchen streichelte das schwarze Bein. Jamie schlug die Tür hinter sich zu.
    »Diese verfickten Idioten.«
    »Freunde von Ihnen?«, fragte ich auf Englisch.
    »Ich kann nicht mal in meinem eigenen Bett schlafen, ohne dass Tag und Nacht irgendwelche Fremden darin rumficken.«
    Wir gingen zurück ins Wohnzimmer, wo Jamie die Aschenbecher nach einer noch rauchbaren Kippe absuchte. Er fand eine, zündete sie an und verzog das Gesicht.
    »Wo haben Sie geschlafen?«
    »Wo ich umgefallen bin.«
    »Erzählen Sie mir, was gestern passiert ist … nachdem Sie die Schule verlassen haben.«
    »Ich bin so gegen fünf nach Hause gekommen und habe ein

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