Tod in Lissabon
Wohnung über der Bank gefunden. Der Vater meiner Freundin wusste, wer du bist. Als ich nach meiner Reise noch eine Woche Zeit hatte, habe ich wieder angerufen – diesmal bei der Bank, und man hat mich zu deinem Partner durchgestellt.«
Nickend bestätigte er die Plausibilität ihrer Geschichte, die langatmige, wohl durchdachte Plausibilität.
»Aber nach Paris bist du doch geflogen, oder?«
»Ist das …«, sie zögerte, »… ein Verhör?«
Er legte den Abschnitt der Bordkarte vor sie auf den Tisch.
»Ich war in Deutschland«, sagte sie kühl und wich seinem Blick aus.
»Die Nummer auf der Rückseite gehört zu einem Anschluss in Curitiba in Brasilien«, sagte Felsen. »Seit wir im Hotel Palácio waren, hast du diese Nummer täglich angerufen. Wer ist es? Deine Freunde?«
»Meine Familie …«
»Eine andere als deine Mutter und deine Kinder in Saõ Paulo?«
Der Kellner trat an ihren Tisch, entfernte sich jedoch auf Felsens heftige Geste hin eilig wieder.
»Ja«, sagte sie mit trotzig zusammengebissenen Zähnen.
»Du hast mir nie Fotos von deinen Kindern gezeigt«, sagte er und griff nach ihrer Handtasche.
Sie riss sie ihm aus der Hand.
»Du hast nie danach gefragt.«
»Ich frage jetzt.«
Sie zerrte zwei Fotos aus der Tasche und hielt sie ihm eine Sekunde lang unter die Nase. Der Junge war dunkelhäutig und sah brasilianisch aus, doch das Mädchen hatte trotz seiner dunklen Haut blonde Haare und blaue Augen. Susanas Mund war zu einem Grinsen verzerrt.
»Ich habe schon von Curitiba gehört«, sagte Felsen. »Es gibt dort eine sehr große deutsche Gemeinde. Ich weiß sogar, was sie vor drei Tagen gemacht haben. Das, was sie jedes Jahr am 20. April machen, am Geburtstag des Führers. Sie hissen die Flagge. Wer hat dich geschickt, Susana?«
Sie antwortete nicht.
»Mir fällt niemand ein, der von mir wissen könnte, mit Ausnahme der Organisation der ehemaligen SS-Angehörigen vielleicht. Die könnten über entsprechende Mittel und Informationen verfügen. War es die ODESSA, Susana?«
»Das Wichtigste, was ich von Eva gelernt habe«, sagte sie, lehnte sich zurück, reckte das Kinn und sah ihn voller Verachtung an, »ist, dass Klaus Felsen immer nur mit seinem großen, dummen schwäbischen Schwanz denkt.«
Das traf ihn tief, und er gab ihr eine Ohrfeige, die knallte, als wäre ein Reifen geplatzt, sodass die anderen Gäste bemüht aus dem Fenster starrten. Susana riss den Kopf zur Seite, und ein Abdruck seiner breiten Hand prangte auf ihrer Wange, als sie sich ihm, etwas Unverständliches murmelnd, mit stechenden, dunklen und vor Wut und Hass blitzenden Augen wieder zuwandte. Er hätte sie gern noch einmal geschlagen, so gedemütigt fühlte er sich, doch mittlerweile ruhten die Blicke sämtlicher Gäste auf ihnen, also wandte er sich ab, um sein Gepäck wieder abzuholen.
1. Juli 1955, Abrantes’ Wohnung,
Rua do Ouro, Baixa, Lissabon, Portugal
Maria Abrantes saß in einem engen blauen Rock, einer weißen Bluse und offener Kostümjacke auf ihrer Chaiselongue. Sie trug eine enge Perlenkette um ihren vor Wut geröteten Hals. Auch ihre Wangen waren von hektischen Flecken gezeichnet. Sie rauchte, lauschte, schlug alle vier Minuten ein Bein über das andere und wartete seit nunmehr einer Dreiviertelstunde darauf, dass die Aktivitäten im Nebenzimmer zum Ende kamen.
Dreimal hatte sie bereits geglaubt, es wäre vorbei, sich gewappnet, die Lippen aufeinander gepresst und die Fäuste geballt. Doch jedes Mal war es wieder von vorn losgegangen, und sie hatte lang und tief durchgeatmet. In der freien Hand hielt sie eine Karte, wie es sie seit etlichen Jahren an Tabakkiosken gab, und klopfte damit auf die Lehne der Liege. Auf der Karte prangte das Foto einer Schauspielerin, die sich Pica nannte, mit vollem Namen jedoch Arlinda Monteiro hieß. Maria betrachtete die Karte zum hundertsten Mal – Pica, mit blond gefärbtem Haar und breiten glänzenden Lippen auf Amerikanerin getrimmt. Maria strich ihr naturblondes Haar zurück, als würde es ihren höheren Rang bestätigen.
Die Schlafzimmertür wurde einen Spalt geöffnet und wieder geschlossen. Marias wippender Fuß erstarrte. Mit einem Lachen wurde die Tür erneut und jetzt weit aufgerissen, und Pica stöckelte, den Kopf in den Nacken geworfen, ins Wohnzimmer, wo ihre hohen Absätze das Parkett malträtierten. Sie bemerkte Maria zunächst gar nicht, doch deren wütende Präsenz ließ sie unbewusst zögern. Als Pica die andere Frau schließlich sah,
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