Tod in Lissabon
machte sie vier trippelnde Schritte zurück, stieß mit der Schulter gegen die geschlossene Hälfte der Flügeltür zum Schlafzimmer, warf einen Blick hinein und reckte dann ihren Hals, um ein wenig Schauspielunterrichts-Würde auszustrahlen. Sie hob das Kinn und durchquerte, ihre weiße Handtasche schwingend, erneut das Wohnzimmer.
»Puta« , sagte Maria Abrantes leise.
Das Wort traf die Schauspielerin im Rücken und ließ sie mit geschwellter Brust herumfahren. Maria Abrantes hoffte, dass ihre Rivalin mit einem Schwall von Schimpfwörtern reagieren würde, doch offenbar war ihre eigene Miene so grimmig, dass die Schauspielerin nur ein leises Zischen herausbrachte, wie sie es selbst in schlecht besuchten Vorstellungen aus den hinteren Reihen gehört haben musste.
Das Ungemach in seinem Wohnzimmer witternd, tauchte Joaquim Abrantes in der Schlafzimmertür auf. Er trug eine graue Anzughose und ein weißes Hemd, dessen Manschettenknöpfe bereits zugeknöpft waren. In der Hand hielt er eine Seidenkrawatte, die Maria noch nie gesehen hatte.
»Was machst du denn hier?«, fragte er.
Pica drehte sich um, ihre Absätze klackerten über den Boden. Sie riss die Wohnungstür auf, und eine Böe fegte durchs Zimmer, bevor die Tür krachend wieder ins Schloss fiel. Abrantes band langsam seine Krawatte. Alles, was Maria sich sorgfältig zurechtgelegt hatte, war ihr entfallen, sodass nur wortloser Trotz übrig blieb.
»Ich dachte, du wolltest heute nach Estoril fahren«, sagte Joaquim Abrantes, verschwand im Schlafzimmer und kam in seiner grauen Anzugjacke zurück.
»Ich wollte …«
»Was hat dich zurück in die Stadt geführt?«, fragte er und tat so, als wäre Pica nie dort gewesen. »Einkäufe?«
Er setzte sich ihr gegenüber, klappte eine silberne Dose auf dem Tisch auf, nahm eine Zigarette heraus, die er auf dem Deckel ausklopfte, zündete sie an und atmete tief ein, was sie noch wütender machte.
»Nein, ich war nicht einkaufen«, sagte sie.
»Oh?«
»Ich bin gekommen, weil ich das Gerede in Estoril über deine Huren hier in der Stadt nicht mehr ertragen kann.«
»In Estoril spricht man über meine Huren in der Stadt? Das glaube ich kaum.«
»Doch. Man nennt sie vielleicht nicht putas , sondern … Schauspielerinnen, doch sie werden mit Geschenken und Dinner-Einladungen bezahlt, genauso wie die Huren am Hafen ihr Bargeld kriegen.«
Ihre Worte waren das nicht, dachte Abrantes und fragte sich, wer ihr beim Einstudieren geholfen hatte. In den Cafés von Estoril sah man vielleicht den französischen Schnitt ihrer Kostüme, ihre amerikanischen Nylonstrümpfe und die Hüte aus London, doch er sah ein Mädchen aus der Beira mit einem Wasserkrug auf dem Kopf.
»Und du?«, fragte er brutal.
»Ich bin deine Frau!«, schrie sie und warf ihm die Sammelkarte mit Picas Foto in den Schoß.
Abrantes hob sie auf, warf einen Blick darauf und schnippte sie dann auf den Beistelltisch. Er musterte sie mit einem ausdruckslosen, steinernen Blick aus matten schwarzen Augen. Sie erstarrte und verbesserte sich.
»Ich bin die Mutter deiner Kinder, deiner beiden Söhne«, sagte sie in der Hoffnung, dass ihn das milder stimmen würde, doch das tat es diesmal nicht.
»Ich habe Neuigkeiten«, sagte er. »Aus der Beira.«
»Aus der Beira?«, wiederholte sie automatisch, und ein seltsamer Schatten legte sich über ihr Gemüt wie auf das Röntgenbild einer Lunge.
»Meine Frau ist gestorben.«
»Deine Frau?«, fragte sie, einen Moment lang verwirrt.
»Du musst nicht alles wiederholen, was ich sage. Meine Frau ist gestorben. Du erinnerst dich doch an sie, oder?«
Natürlich. Die alte Schachtel auf dem Hügel, die für sie Platz machen musste. Sie nickte.
»Sie ist gestorben«, wiederholte Abrantes. »Verstehst du?«
»Ich verstehe«, sagte sie, und die dämmernde Erkenntnis breitete sich in ihrem Körper aus wie Gift aus einem Schierlingsbecher.
»Ich werde wieder heiraten«, verkündete er, stand auf und entfernte sich. »Ich werde Ende der Woche meine Absicht bekannt geben, Senhora Monteiro zu meiner Frau zu machen.«
»Und ich?«, kreischte sie. »Was ist mit mir?«
»Du wirst dich in Estoril weiter um die beiden Jungen kümmern.«
»Wie ein Kindermädchen«, sagte sie und sprang auf. »Wie ein englisches Kindermädchen.«
»Du bist ihre Mutter«, erwiderte er eisig. »Sie brauchen dich.«
»Und du bist ihr Vater«, brüllte sie und stampfte mit dem Fuß auf, »und wir …«
Die Worte versiegten, und Abrantes erkannte ein
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