Tod in Lissabon
Englisch gesprochen und tue es manchmal noch mit Olivia.«
»Sie haben mir nicht erzählt, warum Sie in England waren.«
Ich zündete eine Zigarette an und sah ihn direkt an.
»Sind Sie nicht müde?«, fragte ich.
»Über irgendwas muss man beim Bier doch reden.«
»Und über Fußball wollen Sie nicht sprechen?«
»Ich habe keine Ahnung von Fußball.«
»Mist!«, brüllte der Barkeeper.
Wir blickten beide auf und sahen einen Ball in Richtung Fankurve fliegen.
»Mein Vater war bei der Armee, wie Sie ja bereits wissen. Er hat unter General Spínola in Guinea gedient und im guten alten Kolonialkrieg gekämpft. Vielleicht wissen Sie das ja auch schon …«
»Und weiter?«
»Es war ein Krieg, den wir nicht gewinnen konnten. Jeden Tag wurden junge Männer Ihres Alters sinnlos getötet. Nur weil Salazar Herrscher eines Weltreichs sein wollte. Da hatte General Spínola eine brillante und unkonventionelle Idee. Anstatt die Leute zu töten, um aus ihnen gute portugiesische Staatsbürger zu machen, könnte man nett zu ihnen sein. Er beschloss, den so genannten ›Krieg der Herzen und Köpfe‹ zu führen, verbesserte die medizinische Versorgung und das Bildungssystem, verteilte Bücher und dergleichen, und auf einmal liebten die Afrikaner ihn, und die Rebellen waren ihrer gerechten Sache beraubt. Und weil die Männer meines Vaters nicht mehr getötet wurden, wurde er zum großen Spínola-Fan.«
Carlos lehnte sich zurück, und ich spürte bereits seinen aufkeimenden Widerspruch. Es machte mich müde.
»Nach der Revolution, als die Euphorie verflogen war und Portugal eine wimmelnde Masse dutzender unterschiedlicher Parteien und Programme, in der die Kommunisten sich einen beträchtlichen Anteil der Regierungsgewalt gesichert hatten, fand mein Vater, dass die alte Spínola-Taktik die richtige Lösung für dieses Chaos war.«
»Ein zweiter Putsch«, sagte Carlos.
»Genau. Wie Sie wissen, wurden die Pläne aufgedeckt, und mein Vater musste das Land eilig verlassen. Er hatte Freunde in London, also sind wir dorthin gezogen. Das ist alles.«
»Man hätte ihn erschießen sollen«, sagte Carlos.
»Wie bitte?«
»Ich sagte, man hätte Ihren Vater … erschießen sollen.«
»Mir war so, als hätte ich genau das gehört.«
»Es hatte eine Revolution gegeben. Der demokratische Prozess war auf den Weg gebracht, zugegebenermaßen chaotisch, aber auf dem Weg. Was er bestimmt nicht brauchte, war ein weiterer Putsch und die Errichtung einer Militärdiktatur. Ich bin ohne jeden Zweifel der Ansicht, dass man Ihren Vater und all die anderen hätte erschießen müssen.«
Es war ein langer und heißer Tag gewesen, und ich hatte ein Bier auf leeren Magen getrunken. Den ganzen Tag lang hatten Menschen, die mich nicht kannten, in meinem neuen, entblößten Gesicht gelesen. Es gab alle möglichen Gründe, warum dieser junge Mann, der meinen Vater in aller Seelenruhe zum Tode verurteilte, etwas zum Ausbruch brachte, das ich eine ganze Weile lang nicht herausgelassen hatte. Ich vergaß mich, wie man so sagt, und begriff, was das eigentlich bedeutete, denn es ist die Beherrschung, die uns menschlich macht. Ausnahmsweise schlug ich einmal mit ausgefahrenen Krallen um mich.
Ich knallte beide Fäuste auf den Tisch, die Biergläser kippten um, und der Barkeeper drückte sich an seinen Tresen.
»Was glauben Sie, wer Sie sind, verdammt noch mal?«, brüllte ich. »Ankläger, Geschworene und Richter in einem? Sie haben doch noch in die Windeln geschissen, als das alles passiert ist. Sie kannten meinen Vater nicht. Und Sie haben keine Ahnung, was es heißt, in einer faschistischen Diktatur zu leben, Männer in den Tod zu schicken und ihre Rettung durch die Ideen eines Mannes zu erleben, um dann mit anzusehen, wie Ihr Land von einer Horde machtgieriger, selbstsüchtiger Schweine in den Dreck gefahren wird. Also wer verdammt noch mal sind Sie, dass Sie hier Männer zum Tode verurteilen? Sie sind genau der Grund, warum so eine Scheiße überhaupt passiert!«
Carlos wich zurück, das Hemd und die Hose voller Bier, doch seine Miene blieb ruhig, ausdruckslos und kein bisschen eingeschüchtert.
»Glauben Sie, dass das ein normaler Teil des demokratischen Prozesses ist, oder was? Wieder in die Panzer zu steigen und die Avenida da Liberdade hinunterzufahren? Sie meinen wohl, das wäre die angemessene Art, in einer modernen Welt politische Meinungsverschiedenheiten auszutragen? Vielleicht hätte man Sie auch erschießen sollen.«
Ich ging auf ihn
Weitere Kostenlose Bücher