Tod in Lissabon
los, der Tisch kippte um, ich stolperte, stützte mich ab, schnitt mir die Hand an einer Scherbe, rutschte auf dem Bier aus, rappelte mich auf, wollte mich erneut auf ihn stürzen und prallte gegen die fette, stramme Schulter des Barkeepers, der offenbar einschlägige Erfahrung in diesen Dingen und deshalb seinen massigen Körper behänder als ein chinesischer Turner über den Tresen geschwungen hatte. Er packte meine um sich schlagenden Arme.
»Filho da puta!« , brüllte ich.
»Cabrão!« , brüllte Carlos zurück.
Den Barkeeper mitreißend, stürzte ich mich erneut auf ihn, und wir gingen zu dritt neben der Glastür des Lokals zu Boden. Weiß der Himmel, wie ein vorbeikommender Passant die Szene gedeutet hätte – schon wieder eine außer Kontrolle geratene Streiterei über Fußball.
Der Barmann stand als Erster wieder und setzte Carlos mit einem Tritt an die frische Luft, bevor er mich zur Toilette im hinteren Teil der Kneipe zerrte. Ich hockte mich zitternd hin, Blut strömte von meinem Handgelenk ins Waschbecken. Ich wusch die Wunde aus, und der Barkeeper reichte mir ein paar Servietten.
»So«, sagte er, »habe ich Sie noch nie in meinem Leben gesehen. Noch nie.«
Er verzog sich wieder hinter seinen Tresen. Ich nahm meine Jacke und ging zur Tür.
»Mist!«, sagte er, den Blick wieder auf den Fernseher gerichtet, »warum steht es auf einmal zwei zu eins?«
Ich ging zurück zur Polícia Judiciária auf der anderen Straßenseite und verband notdürftig meine Hand. Doch auf der Heimfahrt kochte mein Blut noch immer, und im Kopf gingen mir Fetzen größerer und besserer Debatten herum. Als ich in Paço de Arcos ankam, meinen Wagen parkte und zu meinem Haus ging, hatte ich eine Art kabbelige Ruhe gefunden.
Olivia war nicht da, die Haustür verschlossen. Ich kramte nach dem Schlüssel.
»Inspektor?«, sagte eine Frauenstimme hinter mir.
Ein paar Meter die Straße hinunter stand Teresa Oliveira, die Frau des Anwalts. Sie sah verändert aus mit Pferdeschwanz, Jeans und einem roten GUESS-T-Shirt. Ich kratzte den letzten Rest Höflichkeit zusammen, den ich aufbringen konnte.
»Ist es wichtig, Dona Oliveira?«, fragte ich. »Es war ein langer Tag, und ich fürchte, ich kann Ihnen nichts Neues berichten.«
»Es wird nicht lange dauern«, sagte sie, obwohl ich mir da nicht so sicher war.
Wir gingen in die Küche. Ich trank einen Schluck Wasser. Sie war entsetzt über mein blutiges Hemd. Ich zog mich um und bot ihr etwas zu trinken an. Sie nahm eine Cola.
»Wegen der Medikamente«, erklärte sie nervös.
Ich goss mir ein Glas William-Lawson’s-Whisky aus einer alten Flasche ein, die seit einem halben Jahr kein Licht mehr gesehen hatte.
»Ich habe meinen Mann verlassen«, sagte sie, und ich zündete mir eine Zigarette an.
»War das klug?«, fragte ich. »Es heißt, man sollte unmittelbar nach einer Tragödie keine einschneidenden Entscheidungen treffen.«
»Sie haben vielleicht bemerkt, dass dieser Schritt nicht unerwartet kommt.«
Ich nickte wortlos, und sie kramte in ihrer Handtasche nach Zigaretten und ihrem Feuerzeug. Mit vereinten Kräften verhalfen wir ihr zu einer brennenden Zigarette.
»Es hat nie funktioniert, von Anfang an nicht«, sagte sie und meinte ihre Ehe.
»Wie lange ist das her?«
»Fünfzehn Jahre.«
»Das ist eine lange Zeit für eine nicht funktionierende Ehe«, sagte ich und überlegte, welche Rückschlüsse das für meine Ermittlung nahe legte.
»Es hat uns beiden gepasst, sie aufrechtzuerhalten.«
»Und jetzt verlassen Sie ihn«, sagte ich und zuckte die Achseln. »War der Tod Ihrer Tochter der Auslöser?«
»Nein«, sagte sie ausdruckslos, und ihre Hand zitterte so heftig, dass sie sie mit der anderen Hand festhalten musste. »Er hat sie … missbraucht, sexuell missbraucht.«
Die Cola in dem Glas zischte. Jetzt kamen wir langsam zur Sache.
»Das ist eine sehr schwer wiegende Anschuldigung«, sagte ich. »Wenn Sie offiziell Anzeige erstatten wollen, würde ich Ihnen raten, sich einen Anwalt zu nehmen und aussagekräftige Beweise vorzulegen. Und wenn sich die Vorwürfe als wahr erweisen sollten, könnte das auch Auswirkungen auf meine Mordermittlung haben, aber ich bin trotzdem nicht der richtige Ansprechpartner.«
Ich sagte es, damit das klar war, ihr und mir.
»Es ist wahr«, sagte sie mit neuer Kraft. »Das Hausmädchen wird es bestätigen.«
»Wie lange ging das schon so?«
»Meines Wissens fünf Jahre.«
»Warum haben Sie es geduldet?«
Ihre Hand zitterte immer
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