Tod in Lissabon
noch, als sie die Zigarette zum Mund führte.
»Mein Mann war immer ein sehr mächtiger Mensch, sowohl öffentlich als auch privat. Und er hat diese Macht auch in seinen persönlichen Beziehungen ausgeübt … gegenüber mir und seinen Kindern.«
»Was fanden Sie denn attraktiv an ihm?«
»Ich habe mich nie zu Männern meines Alters hingezogen gefühlt«, meinte sie achselzuckend. »Mein Vater ist gestorben, als ich noch klein war … vielleicht war es das.«
»Sie waren einundzwanzig, als …«
»Gut situierte Männer«, unterbrach sie mich. »Und er hat sich für mich interessiert. Er kann sehr charmant sein, ich fühlte mich geschmeichelt.«
»Wie haben Sie sich kennen gelernt?«
»Ich habe für ihn gearbeitet. Ich war seine Sekretärin.«
»Heißt das, Sie wissen alles, was man über ihn wissen kann?«
»Früher einmal«, sagte sie, »als ich noch seine Sekretärin war. Wie Ihnen vielleicht bekannt ist, sind Ehefrauen nicht so gut informiert.«
»Das heißt, Sie wissen nicht, wer die wenigen Mandanten sind, für die er heute noch arbeitet?«
»Warum fragen Sie?«
»Ich weiß gern, mit wem ich es zu tun habe.«
»Ich weiß nur, für wen er vor fünfzehn, sechzehn Jahren gearbeitet hat.«
»Und wer war das?«
»Wichtige Leute.«
»Zum Beispiel?«
»Quimical. Banco de Oceano e Rocha, Martins Construções Limitada.«
»Sehr wichtige Leute«, sagte ich. »Glauben Sie, dass Ihr Hausmädchen und ein Anwalt, den Sie sich von Ihrem Geld leisten können, in der Lage sind, es mit Leuten dieses Kalibers aufzunehmen?«
»Ich weiß nicht«, sagte sie und tastete mit dem Daumen über den Filter ihrer Zigarette.
»Sind Sie deswegen heute Abend hierher gekommen?«
Als sie mich aus dunklen Augenhöhlen ansah, fiel mir auf, dass ihr Kajal verschmiert war, auch wenn ihr Gesicht nicht mehr so aufgedunsen wirkte wie am Vormittag.
»Ich weiß nicht genau, was Sie damit sagen wollen.«
»Ich habe in diesem Fall schon diverse Spuren, denen ich nachgehe, Dona Oliveira«, sagte ich, vor einer kleinen, aber unangenehmen Wahrheit zurückschreckend. »Ihre Tochter war sehr promiskuitiv.«
»Würden Sie das von einem Mädchen, das missbraucht worden ist, nicht erwarten?«, erwiderte sie, zückte ein Taschentuch und tupfte sich die Augen ab.
»Man hat dieses Verhalten auch schon bei Mädchen beobachtet, die nicht missbraucht worden sind«, sagte ich. »Aber das ist Ihre Frage, nicht meine. Im Laufe des Tages haben wir herausgefunden, dass sie mit Ihrem Ex-Geliebten geschlafen und mit zwei Jungen aus ihrer Band Gruppensex in einer pensão in der Rua da Glória hatte. Der Vermieter des Stundenhotels hatte sie schon öfter freitags mittags mit Männern dort gesehen, die er für zahlende Freier hielt. Und gerade habe ich die Befragung eines ihrer Lehrer abgeschlossen, der eine sechsmonatige Beziehung mit ihr hatte. Catarina hätte mit jedem gehen können, und ich bin mit meiner Ermittlung an einem Punkt angekommen, an dem ich für weitere Fortschritte nur auf ein bisschen Glück hoffen kann.«
»Das weiß ich alles«, sagte sie. »Ich versuche nur, Ihnen zu erklären, dass es psychologische …«
»Ich stehe auf niemandes Seite, Dona Oliveira«, sagte ich leise und entschlossen.
Sie stand auf, schob bei dem Versuch, ihre Zigarette auszudrücken, den Aschenbecher über den halben Tisch, und hängte sich ihre Handtasche über die Schulter. Als ich ihr zur Haustür folgte, lag mir eine brennende Frage auf der Zunge. War Catarina ihre Tochter? Doch ich war zu erschöpft für die Antwort. Die Tür fiel klickend ins Schloss. Ich öffnete sie noch einmal, um ihr hinterherzurufen, doch sie war schon ein gutes Stück die Straße hinunter. Im gelben Licht der Laternen stöckelte sie mit ihren hohen Absätzen unsicher über das Pflaster.
25
23. August 1961,
Casa ao Fim do Mundo, Azóia,
vierzig Kilometer westlich von Lissabon
Felsen blickte von der Veranda seines Hauses auf den Garten hinunter, der voller Leute war, die er nicht kannte, Freunde und Geschäftspartner von Abrantes. Einige standen, andere saßen an Tischen, wieder andere plünderten mit der nackten Enttäuschung zu spät gekommener Geier die Reste des Büfetts.
Es war ein heißer Tag, kaum ein Lüftchen wehte, was am sturmumtosten Cabo da Roca höchstens einmal im Jahr vorkam. Das Meer war eine träge, glatte, ruhige Fläche in der Sonne. Felsen rauchte und nippte Champagner aus einer Schale. Anlass der Party war seine endgültige Rückkehr aus Afrika,
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