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Tod in Lissabon

Tod in Lissabon

Titel: Tod in Lissabon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Wilson
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Informanten rekrutierte. Er wusste es. Er fand die Schwächen der Menschen heraus, deutete an, dass die PIDE sich für ihre Aktivitäten interessierte, und rettete sie dann vor einer Verhaftung und dem gefürchteten Gefängnis in Caxias, indem er sie zu einem Teil seines Netzes machte. Überrascht stellte er fest, dass Charme die gefährlichste Waffe war. Er hatte immer geglaubt, keinen zu haben, doch er hatte sich bei seinem älteren Bruder Pedro mehr abgeschaut, als ihm bewusst gewesen war, und in dieser neuen Welt, in der er keine Geschichte hatte, konnte er Praktiken anwenden, die er zuvor nur beobachtet hatte. Es war so leicht. Charme war lediglich eine Frage des Verhaltens. Und wenn er lächelte, mochten die Menschen ihn. Wenn er lächelte, erregten seine leuchtenden blaugrünen Augen mit den langen Wimpern Aufmerksamkeit. Sein Schnurrbart wirkte jovial, sein schütteres Haar ließ ihn verwundbar erscheinen, sodass die Menschen ihm meistens vertrauten. Er machte nie den Fehler, sie dafür zu verachten, weil er froh war, gemocht zu werden. Er sorgte nur dafür, dass seine Vorgesetzten wussten, dass sich unter dieser sorgfältig gepflegten äußeren Schale brutale Hartnäckigkeit, unbeirrbare Strenge und eiserne Konsequenz verbargen.
    Manuel bat den Barkeeper in der Antiga Confeitaria , ihm sechs pastéis de nata einzupacken, drückte seine Zigarette aus, bezahlte und machte sich auf den Weg ins Gefängnis von Caxias.
    In seinem ersten Jahr bei der PIDE hatte er besondere Erfolge bei der Eliminierung von Dissidenten in der Studentenschaft erzielt. Es war leichter gewesen, als er erwartet hatte. Sein Bruder ging zur Universität und war sehr beliebt. Seine Kommilitonen gingen im Haus ein und aus. Manuel hörte zu, notierte sich Namen und fütterte sie in sein Netzwerk. Er rekrutierte weitere Mitarbeiter, lockte, drohte und manipulierte, bis er Ende 1963 ein Dossier über zwei Professoren zusammengestellt hatte, die nie wieder lehren würden, dazu acht Studenten, deren Zukunft bereits vorüber war, bevor sie begonnen hatte. Seine Vorgesetzten waren beeindruckt. Sein Vater wollte, dass er sämtliche Gewerkschaftler und Kommunisten in seinen Betrieben aussortierte, und musste verärgert feststellen, dass sein Einfluss nicht so weit reichte, wie er es gewohnt war. Manuel wurde in das Verhörzentrum in Caxias versetzt, wo der Estado Novo die ernster zu nehmenden, politisch aktiven Dissidenten einsperrte. Bei diesen Leuten musste man überzeugendere Methoden anwenden, um sie dazu zu bewegen, der PIDE bei der Zerschlagung des Netzes kommunistischer Zellen zu helfen, das nicht nur die Stabilität der Regierung, sondern die gesamte Lebensart der Nation bedrohte.
    In den ersten Monaten in Caxias verfeinerte Manuel seine Verhörmethoden, zum Teil durch Übung, zum Teil indem er erfahrenere Männer durch venezianische Spiegel bei der Arbeit beobachtete. Diese neu installierten Spiegel, die nur auf einer Seite verspiegelt waren und von der anderen einen freien Blick boten, erregten Manuel und weckten Erinnerungen an seine Kindheit. Er liebte es, dicht vor dem Glas zu sitzen, sodass seine Nase das Glas fast berührte, während der Gefangene auf der anderen Seite sein Gesicht mitunter ebenfalls an die Scheibe presste. Es bereitete ihm ein köstliches, beinahe sexuelles Vergnügen, ganz offen das zerschundene Gesicht eines Mannes zu beobachten, der an die Grenzen seiner Leidensfähigkeit getrieben wurde, ohne selbst dabei gesehen zu werden.
    Das war ein weiterer Teil seiner Ausbildung – wie man die Widerstandskraft eines Häftlings brach. Die bevorzugte Methode war eine Mischung aus Schlägen und Schlafentzug. Man hatte eine Lautsprecheranlage installiert, die einen Gefangenen ohne großen Personalaufwand tagelang wach halten konnte. Auch die alte, »Die Statue« benannte Methode, bei der ein Gefangener gezwungen wurde, sich an eine Wand zu lehnen und sein Körpergewicht mit den Fingerspitzen abzustützen, wurde noch angewandt. Doch sie war zeitaufwändig und wegen der regelmäßig erforderlichen Prügel auch personalintensiv.
    Manuel parkte vor der Festung, zog seine Jacke an, nahm seinen Aktenkoffer und den Kuchen und erinnerte sich voller Erregung daran, warum er sich in der Nacht zuvor ein Mädchen gekauft und auf einer mit Alentejo-Akzent bestanden hatte. Er zeigte dem Wachposten seinen Ausweis, den jener gar nicht ansah, und ging über den Innenhof zum Verhörzentrum. In seinem Büro wurde er von Jorge Raposo, einem

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