Tod in Lissabon
tranken eine Flasche Wein und jeder zwei bagaços , Tresterschnaps. Am Nachmittag verhörten sie weitere vier Häftlinge. Um fünf Uhr fuhr Jorge nach Hause, während Manuel wieder hinunter in den beschallten Raum ging. Er ließ sich vom Wärter die Schlüssel geben und betrat die enge Zelle. Maria Antónia Médinas lag auf der Pritsche und wand sich unter den Riemen. Der Lärm, der durch ihren Kopf pulsierte, war an der Tür nur leise zu hören. Manuel schaltete die Anlage ab, und ihr Körper beruhigte sich. Die Hände auf dem Rücken gefaltet, beugte er sich über sie. Der gute Doktor. Ihr Blick war wild, wirr und verängstigt, als würde sie als Überlebende eines Autounfalls durch die zersplitterte Windschutzscheibe starren. Ihre Muskeln zuckten, ihre Brüste bebten.
Manuel nahm ihr die Kopfhörer ab. Sie schluckte heftig. Er strich ihr eine Strähne aus der Stirn, rieb sich langsam die Hände und setzte sich auf die Pritschenkante. Er lächelte, ohne die Zähne zu zeigen. Der fürsorgliche Vater und das kranke Kind.
»Es war schwer«, sagte er in seinem sanftesten und beruhigendsten Tonfall. »Ich weiß, es war schwer. Aber jetzt ist es vorbei. Du darfst schlafen. Lange und tief. Danach werden wir uns unterhalten, und dann wird alles gut, du wirst schon sehen.«
Er tätschelte ihre Wange. Ihre Augenlider fielen zu. Sie verzog eigenartig den Mund, und eine Träne kullerte über ihre Wange. Er wischte sie mit dem Daumen ab. Sie schlug die Augen auf, und er sah ihre Dankbarkeit.
»Sag jetzt nichts«, meinte er. »Erst schläfst du. Wir haben später noch Zeit, jede Menge Zeit.«
Sie schloss die Augen, und ihr Mund wurde schlaff. Er setzte ihr die stummen Kopfhörer wieder auf und wies den Wärter an, dass niemand die Zelle betreten sollte.
Manuel fuhr nach Estoril. Er fühlte sich gut, er war glücklich und sehnte sich ausnahmsweise einmal nach der Gesellschaft seiner Familie. Sein Vater, Pica und Pedro aßen gemeinsam zu Abend. Im Haus herrschte festliche Stimmung, und alle langten nach einem brütend heißen Tag mit neu erwachtem Appetit zu. Gemeinsam beschlossen sie, in den Ferien im August in die kühlen Berge der Beira zu fahren.
Manuel schlief, bis ihn der Wecker um zwei Uhr nachts weckte. Sein Herz machte einen Satz, und er verspürte eine geradezu würgende Erregung. Er zog sich an, machte ein Käsebrot mit bestem Queijo da Serra zurecht und fuhr zurück zum Gefängnis von Caxias.
Der zuständige Wärter spielte mit Kollegen auf einem anderen Stockwerk Karten, und es dauerte eine Weile, bis Manuel ihn gefunden hatte, um sich die Schlüssel aushändigen zu lassen. Er schloss die Zellentür auf und von innen wieder zu. Er hörte ihren regelmäßigen Atem. Er löste die Riemen, und das Mädchen drehte sich auf die Seite und rollte sich zusammen. Er setzte sich auf die Pritsche und legte eine Hand auf ihre Hüfte. Dann rüttelte er an ihrer Schulter. Sie begann zu wimmern, doch er ließ nicht von ihr ab, sondern schüttelte sachte ihr zartes Schlüsselbein, bis sie mit einem verzweifelten Seufzer aufwachte und die sofort angsterfüllten Augen aufriss.
»Hab keine Angst«, sagte er und hob die Hände, um ihr zu zeigen, dass er weder eine Waffe trug noch irgendwelche bösen Absichten hegte.
Sie richtete sich auf und kauerte sich, die Knie an das Kinn gezogen, an die Wand. Einer ihrer Schuhe fehlte. Er hob ihn vom Boden auf und stellte ihn neben ihren nackten Fuß. Sie schlüpfte hinein und erinnerte sich an den Mann. Der freundliche, vor dem man sich besonders in Acht nehmen musste.
»Ich habe etwas für dich«, sagte er und gab ihr das in eine Serviette gewickelte Käsebrot.
»Wasser«, sagte sie heiser.
Er fand den Tonkrug des Wärters. Sie trank gierig, ohne den Krug mit den Lippen zu berühren. Ein paar Tropfen Wasser waren auf ihre linke Brust getropft, wo sie einen dunklen Flecken hinterließen. Sie musterte das Sandwich und aß es. Dann trank sie wieder, weil sie nicht wusste, wann er aufhören würde, freundlich zu sein.
Manuel bot ihr eine Zigarette an. Sie rauchte nicht, doch er zündete sich eine an und ging in der Zelle auf und ab. Er gab ihr die letzte pastel de nata , die er am Morgen gekauft hatte, und sie schlang sie gierig hinunter.
Sie lehnte ihren Hinterkopf an die Wand und dachte, dass er ein seltsamer Typ sei. Aber tief in ihrem Innern waren sie alle gleich. Manuel setzte sich plötzlich dicht neben sie, und sie zog ihre Füße zurück. Er trat seine Zigarette aus und blickte
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