Tod in Lissabon
Reißverschluss zu, nahm den Tonkrug und verließ die Zelle.
Als er die Zellentür von außen abschloss, spürte er ein Kribbeln im Nacken und hörte, wie eine Stimme wieder und wieder leise seinen Namen flüsterte, obwohl der Zellengang leer war. Er schüttelte sich, nahm den Krug und musste sich zwingen, nicht zu dem leeren Stuhl des Wärters zurückzurennen.
Weil er allein sein und Stille um sich haben wollte, fuhr er zu dem Haus in Lapa, wo er so lange aguardente aus der Flasche trank, bis er in einen tiefen, von Albträumen geplagten Schlaf fiel, aus dem er erst spät erwachte. Sonnenlicht strömte durch das offene Fenster, in einem Garten in der Nachbarschaft klatschten Palmwedel aneinander, irgendwo spielten Kinder. Sein Gesicht war heiß, aufgedunsen und schweißnass, sein Inneres ein schwarzes Loch.
Er duschte lange, ohne sich von der Schwärze rein waschen zu können, fuhr nach Belém und trank Kaffee, ohne eine pastel de nata herunterzubekommen. Mit eineinhalb Stunden Verspätung traf er bei der Arbeit ein. Jorge Raposo erwartete ihn bereits.
»Wir haben ein Problem«, sagte er, und die Schwärze in Manuels Eingeweiden wurde kühl wie eine Höhle.
»Tatsächlich?«
»Das Mädchen, diese Medinas, sie ist tot.«
»Tot!?«, fragte Manuel, und die plötzliche Blutleere in seinem Kopf zwang ihn, sich hinzusetzen.
»Der Wärter hat sie heute Morgen gefunden. Es war alles voller Blut«, sagte er und wies mit angewiderter Miene auf seinen Genitalbereich.
»Hat der Arzt sie untersucht?«
»Daher wissen wir ja, dass sie tot ist. Sie hatte eine Fehlgeburt. Sie ist an inneren und allem Anschein nach auch an äußeren Blutungen gestorben.«
»Eine Fehlgeburt? Wussten wir, dass sie schwanger war?«
»Nein, das wussten wir nicht. Im Übrigen will der Chef Sie sprechen.«
»Narciso?«
Jorge zuckte die Achseln und betrachtete Manuels Hände.
»Kein Kuchen heute?«
Major Virgílio Duarte Narciso nahm den Hörer von der Gabel und zog ein letztes Mal an seiner Zigarette, als ob jeder Zug seine Lunge zerreißen würde. Manuel hatte versucht, die Beine übereinander zu schlagen, schwitzte jedoch heftig, sodass der Stoff seiner Hose so fest an seinen Unterschenkeln klebte, dass er sie nur mit Mühe bewegen konnte. Sein Vorgesetzter, der Major, rieb sich seine braune Nase, die so dick war wie der Daumen eines Boxhandschuhs, mit Poren, so deutlich erkennbar, als wären sie einzeln in die Haut gestochen worden.
»Sie werden versetzt«, sagte er.
»Aber …«
»In dieser Angelegenheit gibt es keine Diskussion. Die Anweisung kommt vom Direktor persönlich. Sie sollen eine Einheit anführen, die diesen Scharlatan von General Machedo der Justiz überführt. Laut Geheimdienstinformationen hält er sich in Spanien auf und plant einen weiteren Putsch. Sie werden mit sofortiger Wirkung zum chefe de brigada befördert und heute Nachmittag vom Direktor persönlich eingewiesen. Wie finden Sie das? Sie sehen ja nicht besonders glücklich aus, Agente Abrantes.«
Manuel starrte nach wie vor in die eisigen Abgründe seiner Gedanken.
»Ich fühle mich geehrt«, stotterte er. »Ich dachte, für eine derartige Beförderung wäre ich noch zu jung.«
Der Major kniff ein Auge zu und sah ihn verschlagen an.
»Caxias ist kein Ort für einen Mann mit Ihren Fähigkeiten.«
»Ich dachte, Sie wollten mich wegen dieser Frau sprechen.«
»Welcher Frau?«
»Die letzte Nacht in ihrer Zelle gestorben ist.«
Das Klingeln des Telefons beendete das kurze Schweigen. Es schreckte sie beide aus ihren Gedanken, und der Major riss den Hörer ans Ohr. Seine Sekretärin berichtete ihm, dass sein Sohn Jaime Leal Narciso nach dem Sturz von einem Baum mit einem gebrochenen Handgelenk ins Krankenhaus gebracht worden war. Major Narciso legte auf und starrte benommen ins Leere. Manuel versuchte erfolglos zu schlucken.
»Ah«, sagte Narciso und drückte endlich seine Zigarette aus, deren Glut seinen Nagel versengte, »ein Kommunist weniger, über den wir uns Sorgen machen müssen.«
Am 19. Februar 1965 aß Manuel in einem Restaurant in Badajoz in Spanien, keine zwei Kilometer von der portugiesischen Grenze entfernt, zu Abend. Die beiden Männer, die mit ihm am Tisch saßen, waren guter Dinge, und auch Manuel trug eine Maske freundlicher Jovialität zur Schau. In zwei Stunden würde er mit seinen beiden Begleitern einen kurzen Spaziergang zu einem dunklen Ort machen, wo sie einen portugiesischen Armeeoffizier aus der Kaserne in Estremoz treffen
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