Tod in Lissabon
Tonnen pro Jahr. Die Borralha-Mine gehört den Franzosen – Produktion sechshundert Tonnen. Die United Kingdom Commercial Corporation, kurz UKCC, hat im vergangenen Jahr einen Vertrag mit Borralha abgeschlossen, doch über die Vichy-Regierung ist es uns bisher gelungen, den Vollzug zu verhindern. Wir kontrollieren selbst eine kleine Mine namens Silvícola, Produktion höchstens ein paar hundert Tonnen. Der Rest ist auf dem freien Markt.«
»Und wie viel brauchen wir?«
»In diesem Jahr dreitausend Tonnen.«
Hinter Felsens Kopf tickte eine Uhr. Auf dem Dach geriet ein Schneebrett ins Rutschen und glitt am Fenster vorbei in den Hof.
»Darf ich rauchen, Herr Gruppenführer?«, fragte Felsen, und Lehrer nickte. »Haben Sie nicht gerade gesagt, dass die größte Mine zweitausend Tonnen im Jahr produziert?«
»So ist es. Und das ist nicht das geringste unserer Probleme. Die UKCC wird versuchen, sich ein Vorkaufsrecht zu sichern. Das heißt, Sie haben vor Ort eine große Anzahl ›freier‹ Arbeitskräfte sowie eigene Leute und mögliche portugiesische Agenten zu kontrollieren. Sie werden Lager anlegen und sichern und den Transport arrangieren müssen. Dabei müssen Sie … wie soll ich mich ausdrücken … auch unkonventionelle Methoden in Betracht ziehen.«
»Schmuggel?«
Lehrer reckte seinen fetten Hals aus seinem Kragen.
»Sie müssen über die Aktionen Ihrer Konkurrenten informiert sein. Sie müssen die Entschlossenheit Ihrer Belegschaft stärken, ausländische Agenten bei der Stange halten.«
»Und der portugiesische Führer – Dr. Salazar –, wie passt er ins Bild?«
»Für ihn ist es ein Drahtseilakt. Ideologisch ist er verlässlich, doch es gibt eine lange Geschichte der Zusammenarbeit mit den Briten, die diese nun eifrig beschwören. Er wird hin und her gerissen sein, doch am Ende werden wir die Oberhand behalten.«
»Und wann breche ich nach Portugal auf?«
»Gar nicht, noch nicht. Zunächst geht es in die Schweiz. Heute Nachmittag.«
»Heute Nachmittag? Und was ist mit der Fabrik? Ich habe noch nichts organisiert. Das ist völlig unmöglich, absolut ausgeschlossen.«
»Das ist ein Befehl, Herr Hauptsturmführer«, sagte Lehrer eisig. »Kein Befehl ist unmöglich. Ich werde Sie heute um eins abholen lassen, und Sie werden sich nicht verspäten.«
Um Punkt eins stand Felsen vor seinem Haus. Er trug seine Uniform, darüber jedoch einen eigenen Mantel und beobachtete grimmig, wie ein Mann im Arbeitsanzug ein riesiges schwarz-rotes Plakat an die Wand neben der Apotheke gegenüber kleisterte. Führer, wir danken dir stand darauf.
Er hatte den ganzen Morgen vergeblich versucht, Eva telefonisch zu erreichen. Nachdem er seine Sachen gepackt und das Notwendige mit Wencdt besprochen hatte, war er zu ihrer Wohnung gegangen, hatte geklopft und vor ihrem Fenster gerufen, bis der Mann, der schon in der vergangenen Nacht seinen Kopf aus dem Fenster gesteckt hatte, ihn erneut wegschickte. Doch dann hatte er die Uniform unter Felsens Mantel gesehen, war plötzlich extrem freundlich geworden und hatte säuselnd erklärt, dass Eva Brücke weggefahren sei. Er selbst habe gesehen, wie sie am vergangenen Vormittag mit mehreren Koffern in ein Taxi gestiegen sei.
Eine alte Frau kam langsam den vereisten Bürgersteig der Nürnberger Straße herunter, sah das Plakat und Felsens niedergeschlagene Miene. Sie blickte sich nach allen Seiten um, bevor sie mit dem Stock auf das Plakat gegenüber wies.
»Wofür sollen wir dem schon groß danken?«, sagte sie und unterstrich die Wölkchen aus ihrem Mund mit einer Geste ihrer anderen Hand. »Für die nationalsozialistische Kaffeebohne? Für die Tipps, wie man Kuchen ohne Eier backt? Das Einzige, wofür man ihm wirklich dankbar sein muss, ist der Völkische Beobachter … viel weicher als das nationalsozialistische Klopapier.«
Dann stockte sie plötzlich, als hätte man ihr ein Messer in die Kehle gestoßen. Felsens Mantel war aufgegangen, und sie hatte die schwarze Uniform gesehen. Sie rannte los, trotz des vereisten Pflasters plötzlich sicher auf den Beinen.
Lehrer fuhr in einem Mercedes mit Chauffeur vor, und der Fahrer packte Felsens Koffer in den Kofferraum. Sie fuhren an der schlitternden alten Frau vorbei, und Felsen machte eine Bemerkung über sie.
»Sie hatte Glück, dass sie nicht auf einen strengeren Vertreter der Partei getroffen ist«, sagte Lehrer und klatschte in seine schwarz behandschuhten Hände. »Vielleicht hätten Sie strenger sein sollen. Das
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