Tod in Lissabon
werden Sie lernen müssen.«
»Nicht an alten Damen auf der Straße, Herr Gruppenführer.«
»Selektive Strenge schwächt das Ganze«, erwiderte Lehrer und wischte mit einem fetten schwarzen Finger über die beschlagene Scheibe.
Sie fuhren nach Südwesten Richtung Leipzig und dann durch die verschneite Landschaft nach Weimar, Eisenach und Frankfurt. Lehrer arbeitete auf der ganzen Fahrt, las Dokumente, die er einem Aktenkoffer entnahm, und machte sich in einer spinnenbeinartigen, unleserlichen Handschrift Notizen. Felsen hatte Zeit, über Eva nachzudenken, konnte jedoch keinerlei erkennbare Veränderung des gewohnten Musters erkennen: lange feuchtfröhliche Nächte mit Jazz und leidenschaftlichem Sex, bei dem sie ihn gar nicht eng genug umschlingen konnte, furchtbare Streitereien, die darüber entbrannten, dass er mehr von ihr haben, als sie ihm geben wollte, und die meist damit endeten, dass sie ihn mit Gegenständen bewarf – normalerweise ihren Schuhen, jedoch nie mit Porzellan, es sei denn, sie waren in seiner Wohnung, wo es echtes Meißener gab.
Nichts Ungewöhnliches … bis auf den Zwischenfall mit den jüdischen Mädchen. Noch Tage, nachdem sie von ihrem Schicksal erfahren hatte, hatte sie sich aufgeführt wie die einzige Überlebende eines Bombenangriffs – blass, abwesend und nervös. Doch es war vorbeigegangen, außerdem hatte das nichts mit ihm zu tun, mit ihnen beiden. Er blickte zu Lehrer, der jetzt vor sich hin summend aus dem Fenster sah.
Kurz vor Anbruch der Dämmerung erreichten sie ein Gasthaus hinter Karlsruhe. Felsen ruhte auf seinem Zimmer, während Lehrer das Büro okkupierte und telefonierte. Beim Abendessen waren sie zu zweit, doch Lehrer wirkte abwesend, bis er ans Telefon gerufen wurde. Als er zurückkam, war er deutlich zugänglicher und verlangte nach einem Cognac vor dem Kamin.
»Und Kaffee!«, brüllte er. »Echten, nicht diesen Negerschweiß.«
Er rieb sich die Schenkel und wärmte seinen Hintern. Dabei musterte er seine Umgebung, als wäre er schon viel zu lange nicht mehr in einem ländlichen Gasthaus abgestiegen.
»Ich habe Sie nie in der Roten Katze gesehen«, sagte Felsen und wagte sich damit auf dünnes Eis.
»Aber ich Sie«, erwiderte Lehrer.
»Kennen Sie Eva schon lange?«
»Warum fragen Sie?«
»Ich habe mich lediglich gewundert, woher Sie über meine alten Freundinnen Bescheid wussten. Sie hat sie mir alle vorgestellt … einschließlich der Poker-Spielerin.«
»Wer war das?«
»Sally Parker.«
»Die hat sie nie erwähnt.«
»Andernfalls hätten Sie das Spiel nie vorgeschlagen.«
»Nun, ja … ich kenne Eva schon recht lange. Seit sie ihren ersten Klub hatte. Wo war das noch, Der blaue Affe ?«
»Nie gehört.«
»In den Zwanzigern, als sie angefangen hat.«
Felsen schüttelte den Kopf.
»Wie dem auch sei. Ihr Name wurde erwähnt. Ich habe Sie erkannt. Ich habe Eva nach Ihnen gefragt, und sie hat in den höchsten Tönen von Ihnen geschwärmt, obwohl sie ganz genau wusste, dass ich das nicht hören wollte. Sie war natürlich so diskret wie nur möglich, aber ich bin ein SS-Gruppenführer und … so war das«, sagte er und nahm den Cognac von dem Tablett. »Sie wollten …?«
»Was?«
»Fräulein Brücke war nicht einer der Gründe, warum Sie Berlin nicht verlassen wollten?«
»Nein, nein«, sagte Felsen, ärgerlich, dass er überhaupt gefragt hatte.
»Ich wollte sagen …«
Das Holz im Kamin knackte. Jetzt rieb Lehrer sich die Pobacken.
»Was wollten Sie sagen, Herr Gruppenführer?«, fragte Felsen, unfähig, sich zu beherrschen.
»Nun, Sie wissen, die Berliner Klubs … die Frauen … es ist nicht …«
»Sie war keine Hostess«, sagte Felsen mit mühsam gezügeltem Zorn.
»Nein, nein, ich weiß, aber … es ist die ganze Kultur. Sie ist nicht förderlich für die …« Er wartete vergeblich, dass Felsen den Satz für ihn beenden und damit noch ein wenig mehr über sich selbst enthüllen würde. »… Stabilität. Sehr künstlerisch, sehr frei, sehr leichtlebig. Dauerhafte Bindungen sind äußerst selten in der Kultur der Nacht.«
»Ist nicht die berühmteste Parteikundgebung aller Zeiten im Dunkeln abgehalten worden?«
»Touché« , brüllte Lehrer lachend und ließ sich in einen Sessel fallen, »aber das war nur, damit die Kamera nicht die fetten Mitesser im Gesicht des Amtswalters einfängt und die ganze Partei wie eine Herde bayerischer Säue aussehen lässt. Und ich darf Sie daran erinnern, Herr Hauptsturmführer, dass eine zu flinke
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