Tod in Lissabon
Büro, das ein Kurier gebracht hatte.
»Sie müssen noch unterschreiben«, sagte sie.
Manuel winkte den Kurier herein und unterschrieb ein Formular. Dabei fiel sein Blick automatisch auf die paar Zentimeter Bein seiner Sekretärin, die zwischen Tisch und Rocksaum sichtbar waren. Er fragte sich, ob ihre Unterwäsche ebenso vernünftig war wie sie selbst. Der Kurier verabschiedete sich. Manuel befahl seiner Sekretärin, die Zeitschriften aufzuräumen, und spähte über seinen Schreibtisch. Doch sie ging in die Hocke, um die Arbeit zu erledigen, weil sie Manuel Abrantes’ verschlagene Tricks nach sechsjähriger Tätigkeit für ihn nur zu gut kannte.
Verärgert winkte er sie hinaus. Vielleicht sollte er sie vor seiner Abreise zum Abendessen einladen, sie in seine Wohnung bringen und ihr das eine oder andere zeigen. Er öffnete das Paket. Es enthielt einen Reisepass, einen Ausweis, einen Umschlag mit Schecks, das Scheckbuch einer portugiesischen Bank, eine Visa- und eine Amex-Karte. Darüber hinaus fand er das Foto einer zweiunddreißigjährigen Frau namens Lurdes Salvador Santos. Sie wirkte trotz ihrer strengen Frisur und einem leichten Oberlippenflaum freundlich und gutmütig. In einem vierseitigen beiliegenden Brief erklärte sein Bruder Pedro die Dokumente und das Foto.
Manuel überprüfte Ausweis und Reisepass. Letzterer war abgenutzt und mit zahlreichen Stempeln versehen. Er öffnete das Paket mit den Schecks, nahm drei heraus und verstaute den Rest in seinem Scheckbuch. Anschließend dachte er sich drei Kontonummern aus, die er in das Scheckbuch eintrug, las den Brief viermal durch und lernte jedes Detail auswendig, bevor er ihn zusammen mit den drei Blankoschecks verbrannte.
Nachdem er tausend Dollar aus der obersten Schreibtischschublade genommen hatte, verließ er sein Büro. Durch die feuchte Nachmittagshitze ging er sechs Blocks zu Fuß zu einem Stempelmacher, der bereits einen brasilianischen Einreisestempel für ihn vorbereitet hatte. Anschließend buchte er bei einem Reisebüro einen Flug von São Paulo nach Buenos Aires und von dort weiter nach Madrid. Mit dem Flugticket suchte er die argentinische Botschaft auf, wo er auf sein Visum wartete, bevor er in sein Büro zurückkehrte.
Dort leerte er seine Taschen und fütterte sämtliche alten Papiere in den Schredder, den er anschließend leerte, um die Schnipsel im Papierkorb zu verbrennen.
Als er wieder hinausging, kam er am Schreibtisch seiner Sekretärin vorbei und blieb kurz stehen. Sie sahen sich an. Zu kompliziert, dachte er, nickte ihr zu und ging. Sie zeigte seinem Rücken den ausgestreckten Mittelfinger.
Als er am kommenden Nachmittag um vierzehn Uhr die Abflughalle des Flughafens von São Paulo betrat, bekam sein Pass einen Ausreisestempel. Es beschäftigte den Zollbeamten keine Sekunde lang, warum ein portugiesischer Staatsbürger namens Miguel da Costa Rodrigues von Brasilien nach Argentinien flog, und er stellte auch keine Fragen.
Am 25. Oktober, zwei Flüge und eine Autofahrt später, saß Miguel da Costa Rodrigues im Büro von Pedro Abrantes, Direktor der unlängst reprivatisierten Banco de Oceano e Rocha, die noch immer in den alten Geschäftsräumen in der Rua do Ouro in der Baixa residierte.
»Ich kann nicht glauben, was aus Portugal geworden ist«, sagte Miguel und blickte von einem Foto auf, das Isabel, die Frau seines Bruders, und ihre drei Kinder zeigte.
»Die Regierung hat beschlossen, dass wir gleichzeitig mit Spanien der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft beitreten. Wir müssen Fortschritte machen«, sagte Pedro.
»Nein, nein. Ich meine, das mit dem Sex. Auf allen Reklametafeln und Filmplakaten nichts als Sex. Hast du den Kiosk auf dem Rossio gesehen? All die Nackten. Ich meine, es ist unglaublich. Das wäre früher unmöglich gewesen …«
»Nun, ja, der Salazarismus war sehr katholisch und Frauen gegenüber sehr ehrerbietig«, sagte Pedro stirnrunzelnd. »Es gab Zensoren. Das müsstest gerade du doch wissen.«
»Wieso ich?«, fragte Miguel, alarmiert von dem Versprecher seiner Bruders.
»Verzeihung, Senhor Rodrigues, ich vergaß«, sagte Pedro. »Du wirst sehen … wir haben all das hinter uns gelassen.«
»Die Portugiesen lassen nie etwas hinter sich, außer vielleicht jemanden, der ihnen in den Mantel hilft. Wir leben mit unserer Geschichte, als würde sie sich immer noch um uns herum ereignen. Es gibt in diesem Land Menschen, die glauben, der verschwundene König Sebastião würde nach vierhundert Jahren
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