Tod in Lissabon
im Bad die Zähne.
»Was ist denn mit dir passiert?«, fragte ich sie auf Englisch.
»Ich habe getan, was mein Daddy mir befohlen hat«, sagte sie und wandte sich verärgert wieder dem Waschbecken zu.
»Du hast heute hier übernachtet?«
»Du hast doch gesagt, dass ich das tun sollte«, erwiderte sie. »War ich nicht ein braves Mädchen ?«
»Wie bist du denn zurückgekommen?«
»Senhor Rodrigues hat mich nach dem Essen nach Hause gefahren.«
»Ganz allein?«, fragte ich und spürte, wie meine Hände mit einem Mal eiskalt wurden.
»Die anderen wollten nicht mitkommen«, sagte sie. »Ich bin mir total idiotisch vorgekommen.«
»Worüber hast du dich denn mit Senhor Rodrigues unterhalten?«
»Ich weiß nicht. Nichts Besonderes.«
»Versuch dich zu erinnern«, sagte ich. »Das wäre sehr hilfreich.«
»Ach ja, er hat mich nach den Smashing Pumpkins gefragt.«
»Den Smashing Pumpkins?«
»Das ist eine Band, Dad«, sagte sie, sichtlich erschüttert über meine mangelnde Coolness. »Eine populäre Gesangsgruppe, wie man das zu deiner Zeit genannt hat.«
Ich verbot ihr ohne Angabe von Gründen, die Rodrigues weiter zu besuchen.
39
Freitag, 26. Juni 199–, fünf Uhr dreißig,
Paço de Arcos, Lissabon
Ich lag im Bett, unfähig einzuschlafen, lauschte dem Verkehr, rauchte Zigaretten und las zum hundertsten Mal Fernanda Ramalhos Obduktionsbericht. Ich war zwei Stunden entfernt von einem Medienwirbel, der mein Leben verändern würde, und jetzt wollte ich das auf einmal nicht mehr. Ich wollte mein altes Leben zurück.
Ich hatte eine schreckliche Woche hinter mir. Als Luísa gesagt hatte, ihr Vater, Vitor Madrugada, habe eine Zeitschrift in den Startblöcken, hatte ich angenommen, dass alles fertig war und er nur noch auf einen Knopf drücken musste. Aber er hatte noch nicht einmal einen Drucker, und es kostete ihn eine Stange Geld, einen zu organisieren, weil Druckpressen meistens nicht untätig herumstehen und auf einen Auftrag warten – sie laufen rund um die Uhr. Es dauerte eine Woche, was ihm Zeit zum Nachdenken gab.
Er hatte eine große Geschichte gewollt, um sein neues Wirtschaftsmagazin zu lancieren, und er hatte etwas Monumentales bekommen, das so lange Bestand haben würde wie das Denkmal des Marquês de Pombal auf seiner praça . Vitor Madrugada wollte sich rückversichern. Ich musste meine Geschichte ihm und seinem ganzen Vorstand inklusive Luísa und dem Chefredakteur vortragen. Ich musste meinen kompletten Fall gegen Miguel da Costa Rodrigues präsentieren und meine Gründe dafür darlegen, dass ich ihn in dieser Form angriff.
Der Chefredakteur war nervös. Er war ein intelligenter Mann, stammte jedoch aus einer Zeit, in der Medien noch mehr Respekt vor öffentlichen Persönlichkeiten gehabt hatten, vielleicht ein Überbleibsel aus den Tagen, in denen man Journalisten noch sagte, was sie zu schreiben hatten. Für ihn war der Generaldirektor der Banco de Oceano e Rocha ein wichtiger Mann mit einflussreichen Freunden und einer Gattin, die ebenfalls aus einer vornehmen Familie stammte und überdies eine sehr religiöse Frau war, während Catarina Oliveira …
»Ich will ihn in diesem Artikel ja noch gar nicht verurteilen«, erwiderte ich. »Ich will bloß sichergehen, dass Miguel Rodrigues alias Manual Abrantes zur Polícia Judiciária kommt und meine Fragen beantwortet. Er hat alles in seiner Macht Stehende unternommen, meine Ermittlungen zu behindern. Er hat seine Freunde dazu gedrängt, mir Informationen vorzuenthalten. Er hat mich unter eine Straßenbahn stoßen lassen. Mein Haus ist von der Drogenfahndung durchsucht worden, und die Tochter Ihres Chefs bekommt Schmähbriefe. Unser Vorgehen ist durchaus gerechtfertigt.«
Der Chefredakteur sah Luísas Vater an.
»Ich hoffe, Sie haben Recht«, sagte Vitor Madrugada zu mir. »Dies ist eine große Geschichte – einflussreiche Familien, eine auf Nazi-Gold gegründete Dynastie, ein Mörder von der PIDE, Sex, Drogen und die Ermordung eines unschuldigen oder zumindest jungen Mädchens, das den Tod nicht verdient hatte. Die Geschichte wird durch Portugal fegen wie ein Waldbrand im Sommer.«
»Und Sie möchten nicht als Brandstifter gelten.«
»Nein«, sagte er. »Und ich glaube auch nicht, dass ich einer bin.«
Dann hatte er sein Okay gegeben.
Ich hatte die Zusammenkunft mit einer Mischung aus Euphorie und Beklommenheit verlassen und ein paar Tage herumgebummelt. JoJó Silva rief mich wegen Lourenço Gonçalves an, der nach wie vor nicht
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