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Tod in Lissabon

Tod in Lissabon

Titel: Tod in Lissabon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Wilson
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hingerichtet hatte. Das war packendes Fernsehen. Ich konnte den Blick nicht abwenden. Ich rückte sogar näher, um noch irgendwelche Spuren des alten, heruntergekommenen Jorge auszumachen, den ich gekannt hatte, doch sein Studio-Make-up war undurchdringlich, sein zweireihiger neuer Anzug so elegant und hermetisch wie ein Panzer. Ich konnte mir nur seine verkrusteten alten Fersen in brandneuen Slippern vorstellen. Nach Ausstrahlung der Sendung erklärte die spanische Regierung, dass sie die Angelegenheit untersuchen wolle, da sie sich auf spanischem Boden abgespielt hatte.
    Dann fanden sie mich. Den heldenhaften Witwer, der sich mit Mächten angelegt hatte, von denen ich gar nichts wusste. Sie fanden Luísa, die hingebungsvolle Lehrerin, die eine furchtlose Herausgeberin und Geliebte des Helden geworden war. Sie fanden Olivia, die Tochter des Helden, die die Krawatte geschneidert hatte, die den Ermittlern den entscheidenden Hinweis geliefert hatte, die kommende Modedesignerin, die Miguel da Costa Rodrigues möglicherweise persönlich gesponsert hätte.
    Der verheerendste Einbruch in meine Privatsphäre erfolgte jedoch durch die Veröffentlichung der Dokumente über die Herkunft des Goldes, nach der sämtliche Vermögenswerte der Banco de Oceano e Rocha eingefroren wurden. Bei einer Durchsuchung aller Geschäftsräume einschließlich der alten Büros in der Rua do Ouro fand man in einem alten Wandtresor zwei der Original-Goldbarren. Die Polícia de Judiciária ergriff die Gelegenheit, einen journalistischen Coup zu landen, und mein Gesicht wurde neben zwei Barren Nazi-Gold auf den Titelseiten abgedruckt. In mindestens einer Publikation tauchte der legendäre »Inspector Dourado« auf – der Goldene Inspektor. Die Regierung kündigte eine umfassende Untersuchung an, bei der Gründung, Mittelbeschaffung und Geldgeschäfte der Bank genau unter die Lupe genommen werden sollten.
    Zu diesem Zeitpunkt glaubte ich, die Kontrolle über mein Leben komplett zu verlieren, doch mein Glück wendete sich. Es gab weitere Enthüllungen über den Finanzskandal, der die Firmen, die das Gelände der Expo 98 und die angrenzende Nobelresidenz gebaut hatten, fast in den Ruin getrieben hätte, und das Spotlight schwenkte weiter. Die Medien luden nach. Die Grundstimmung blieb dieselbe – hohe Tiere, die ungestraft davonkamen.
    Ende Juni war ich befördert worden. Ich bekam keinen neuen Job, weil es keinen neuen Job gab. Aber ich bekam eine Gehaltserhöhung, die ich nicht brauchte, weil ich wochenlang kein Getränk und kein Essen mehr selbst bezahlen durfte. Alle Rechnungen wurden von anderen beglichen.
    Ich bekam vorübergehend eine Sekretärin, die meine Anrufe entgegennahm, sodass ich praktisch nur noch mit Journalisten und Fernsehproduzenten sprach. Ich hatte kaum Zeit und arbeitete überhaupt nicht. Die Polícia Judiciária sonnte sich im Erfolg der Ermittlung. Ich wurde von meinen Kollegen beneidet und verachtet und in der Bruderschaft meiner Vorgesetzten willkommen geheißen.
    Es war eine Erleichterung, als Mitte November nach entsprechendem Druck der Regierung in Rekordzeit der Prozess begann. Die Staatsanwaltschaft nahm die Sache sehr ernst, Zeugenauftritte und Plädoyers wurden endlos geprobt. Die Verteidigung baute auf Catarinas Vorleben: Obwohl sie eine Schülerin war, die aus einer angesehenen Familie stammte, war sie nichts anderes als eine gewöhnliche Prostituierte und Drogenkonsumentin. Die Argumentation konzentrierte sich darauf, dass sie freiwillig in den Wagen gestiegen war und dem Geschlechtsverkehr zugestimmt hatte (Spuren direkter Gewalt hatte man an ihrem Körper nicht nachgewiesen). Weder war eine Mordwaffe gefunden worden, noch gab es ein Motiv oder Zeugen, die den Angeklagten dabei beobachtet hatten, wie er das Mädchen erschlagen, entkleidet, in den Kofferraum seines Wagens verfrachtet und sie am Strand von Paço de Arcos abgelegt hatte. Der Verteidiger betonte Miguel da Costa Rodrigues’ tadellosen Charakter, sein wohltätiges Engagement und die perfekte Erziehung der Tochter seines Bruders.
    Die Argumentation der Anklage hing an der Frage, ob der Angeklagte Analverkehr mit dem Mädchen gehabt hatte oder nicht. Denn das war das Motiv für den Mord. Das Protokoll meiner ersten Vernehmung von Miguel Rodrigues sowie die Fotos von den Blutergüssen auf seiner Brust erschütterten nicht nur die grundsätzliche Glaubwürdigkeit des Angeklagten, sondern bewiesen auch ungeachtet seiner anders lautenden Aussagen, dass er

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