Tod in Lissabon
behindert hat. In der Zulassungsstelle wurden mir die Informationen über seinen Wagen verweigert. Ich wurde von dem Fall abgezogen. Mein Haus wurde von der Drogenfahndung durchsucht. Ich wurde unter eine Straßenbahn geschubst. Wenn er sich derart unter Druck fühlte, warum hat er dann nicht das verhängnisvollste Beweisstück gegen ihn vernichtet? Und zweitens: Warum war der Slip des Mädchens nicht bei den anderen …«
In diesem Moment geriet meine überreizte Fantasie außer Kontrolle, meine Depression verband sich mit einem kräftigen Schub Paranoia und schüttelte mich wie ein schwerer Malariaschub.
»Bei was?«, fragte Luísa, die sich gleichzeitig mit mir zurückgelehnt hatte. »Warum guckst du mich so an?«
»Wie gucke ich dich denn an? Ich wollte nicht …«
»Du guckst mich an, als wolltest du in mich hineinsehen, als wolltest du mir in den Kopf gucken.«
»Es ist nichts. Ich weiß selbst nicht mehr, was ich denke.«
Das stimmte nicht. Ich wusste sehr wohl, was ich dachte. Ich hatte gedacht, dass man meine Ermittlungen massiv behindert hatte, bis ich auf Miguel Rodrigues gestoßen war, und nachdem ich unter derart erschwerten Bedingungen auf ihn gestoßen war, brauchte ich die öffentliche Meinung auf meiner Seite. Und was war geschehen? Die Frau, die seit einer Woche meine Freundin war, entpuppt sich als Expertin für die salazaristische Wirtschaftspolitik, sie hat die Banco de Oceano e Rocha bereits im Visier und präsentiert den Namen Klaus Felsen. Gleichzeitig hat sie einen Vater, der Zeitschriftenverleger und auf der Suche nach einer großen Story für die fertige Nullnummer eines neuen Wirtschaftsmagazins ist. Und nachdem die Geschichte erst einmal publik geworden war, war alles ganz leicht. Narciso wirkte plötzlich so verträumt wie ein pastel de nata aus der Antiga Confeitaria in Belém. Und ich klammerte mich verzweifelt an die Mähne eines sattellosen Medienhengstes, der über die offene Prärie galoppierte.
Liegt es im Wesen der Paranoia, dass Dinge, die einem so richtig vorgekommen sind, plötzlich von Misstrauen überschattet werden? Als ich erst einmal angefangen hatte, in dieser Richtung zu spekulieren, drängten sich weitere Gedanken auf. Wer hatte mir Luísa Madrugadas Telefonnummer gegeben? Dr. Aquilino Oliveira.
So wie gegen einen Malariaschub nur reines Chinin hilft, gibt es auch gegen die Paranoia nur eine Medizin – die reine, ungetrübte Wahrheit. Die inszenierte Wahrheit wird, auch wenn darin eine gewisse Gerechtigkeit liegen mag, nie gut genug sein, um die wichtigen Menschen freizusprechen.
Ich war krank, und es gab nur diese eine Kur.
Wenn ich damals über den engen Kreis meiner Gedanken hätte hinausschauen können, hätte ich erkannt, dass die Suche nach der reinen die inszenierte Wahrheit stören würde. Und wenn sie inszeniert worden war, gab es auch einen Regisseur. Einen mächtigen und rachsüchtigen Mann, der darauf bestimmt nicht freundlich reagieren würde.
Ich sah wieder Luísa an und versuchte, nicht unter der Oberfläche zu graben. António Borrego, der einzige Mann, der mich noch selbst bezahlen ließ, legte die Rechnung zwischen uns auf den Tisch.
41
Freitag, 24. November 199–,
Polícia Judiciária, Rua Gomes Freire, Lissabon
Ich saß an meinem Schreibtisch und startete den Computer. Ich rief die Vermisstenanzeigen auf und ließ das Programm nach Lourenço Gonçalves suchen, um festzustellen, ob er wieder aufgetaucht oder gefunden worden war. Doch es fand sich nicht das geringste Anzeichen dafür, dass diese Vermisstenanzeige je aufgegeben worden war. Ich sah aus dem Fenster in die strahlende Sonne und zitterte.
Ich suchte Carlos und nahm ihn mit auf einen Spaziergang zur Avenida Almirante Reis. Es war kalt und sehr trocken, der Wind wehte beißend aus nördlicher Richtung. Es hatte in diesem Jahr kaum Niederschlag gegeben. Die letzten drei Jahre hatte es den ganzen November durchgeregnet, bis ich so depressiv geworden war wie ein Engländer. Dieses Jahr war es regelrecht unheimlich gewesen. Kein Regen, Tag für Tag strahlender Sonnenschein und wolkenloser Himmel. Doch statt reiner Freude weckte das ungewöhnlich schöne Wetter die erschreckende Vorstellung von einem unwiederbringlich zerstörten Planeten.
Die kleine, enge Bar zwischen den Metro-Stationen Anjos und Arroios, in der ich JoJó Silva getroffen hatte, war am späten Vormittag voller Kaffeetrinker. JoJó Silva saß an einem Tisch und starrte in eine leere Tasse, als ob der
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