Tod in Lissabon
fünfundfünfzig Kilo … Irgendwelche besonderen Kennzeichen, Fernanda?«
Sie hob die Hand und murmelte in ihr Diktafon, während sie die Wunde an der Stirn des Mädchens untersuchte. Carlos blätterte die Vermisstenanzeigen durch. Weitere Autos fuhren auf der Avenida Marginal vorbei. Fernanda inspizierte sorgfältig Schamhaar und Vagina des Mädchens.
»Beginnen Sie mit denen, die in den letzten vierundzwanzig Stunden eingegangen sind«, sagte ich. Carlos seufzte.
Fernanda entrollte ein Plastiklaken. Sie nahm das Thermometer aus der Achselhöhle des Mädchens und drehte sie behutsam um. Die Leichenstarre hatte bereits eingesetzt. Mit einer Pinzette zupfte sie an einem Gemisch aus Blut, Haaren und Sand am Hinterkopf des Mädchens. Sie griff nach einer kleinen Plastiktüte zur Sicherung von Beweismaterial, tat etwas hinein und markierte die Tüte. Dann bündelte sie das Haar der Toten und murmelte erneut in ihr Diktafon. Sie betrachtete den ganzen Körper, teilte die Pobacken mit Zeigefinger und Daumen und sprach die ganze Zeit weiter, bevor sie ihr Diktiergerät ausschaltete.
»Muttermal im Nacken, zur Hälfte im Haaransatz verborgen. Und ein kaffeebrauner Leberfleck auf dem linken Oberschenkel, fünfzehn Zentimeter über dem Knie«, rief sie.
»Wenn ihre Eltern sie als vermisst gemeldet haben, sollte das reichen«, sagte ich.
»Catarina Sousa Oliveira«, sagte Carlos und gab mir das Blatt.
Ein Krankenwagen mit zwei Sanitätern traf ein. Der eine trug eine Bahre, der andere einen Leichensack. Fernanda richtete sich auf und strich sich den Staub von den Kleidern.
Ich ging die Hafenmauer entlang bis zum Ozean. Es war kaum Viertel nach sieben, und die Sonne stach bereits ein wenig. Zu meiner Linken mündete der Tejo ins Meer, die massiven Säulen der Hängebrücke des 25. April schwebten scheinbar fußlos im dichten Dunst. Die Sonne war höher gestiegen, das Meer nicht mehr blau, sondern wie ein silbern glänzendes, gehämmertes Blech. Kleine, vor dem Strand verankerte Fischerboote wiegten sich in der morgendlichen Brise sanft auf dem Wasser. Ein Passagierflugzeug tauchte im Sinkflug über dem Fluss auf und legte sich über der Zementfabrik und den Stränden von Caparica südlich des Tejo in die Kurve, um auf dem Flughafen im Norden der Stadt zu landen – Touristen, die zum Golfspielen und Sonnenbaden kamen. Weiter westlich auf dem Meer zog ein Schlepper einen Bagger am Leuchtturm von Búgio, Lissabons antikem Miniatur-Alcatraz, vorbei. Am Ende der Hafenmauer holte ein Angler mit seiner Rute aus, machte zwei Schritte zurück und warf die Schnur mit einer peitschenden Schulterbewegung hinaus in den Ozean.
»Sie hat einen harten Schlag auf den Hinterkopf bekommen«, sagte Fernanda hinter mir. »Ich kann noch nicht sagen, womit, aber es war etwas wie ein Schraubenschlüssel, ein Hammer oder ein Rohr. Der Schlag ließ sie nach vorne fallen, wo sie mit der Stirn auf einem harten Gegenstand aufgeschlagen ist, der mit neunzigprozentiger Sicherheit ein Baum war, doch das werde ich im Institut noch genauer untersuchen. Sie muss bewusstlos gewesen sein und wäre vermutlich auch an dem Schlag gestorben, doch der Typ ist mit seinen Daumen auf ihrer Luftröhre auf Nummer sicher gegangen.«
»Der Typ?«
»Tut mir Leid, meine Vermutung.«
»Es ist nicht hier passiert, oder?«
»Nein. Ihr linkes Schlüsselbein ist gebrochen. Sie wurde von der Hafenmauer geworfen. Außerdem habe ich neben der Wunde das hier in ihren Haaren gefunden.«
Die Plastiktüte enthielt eine einzelne Kiefernnadel. Ich rief einen der PSP-Leute zu mir.
»Spuren von Missbrauch oder sexueller Gewalt?«
»Es hat sexuelle Aktivitäten gegeben, ich habe jedoch keine äußeren Verletzungen oder Spuren von gewaltsamer Penetration festgestellt, aber dazu kann ich Ihnen später mehr sagen.«
»Können Sie mir eine ungefähre Todeszeit nennen?«
»Vor etwa dreizehn bis vierzehn Stunden.«
»Wie können Sie das so genau sagen?«, wollte Carlos wissen.
Seine aggressive Frage bekam eine ausführliche Antwort.
»Bevor ich hergekommen bin, habe ich beim Wetterdienst angerufen, wo man mir gesagt hat, dass es in der vergangenen Nacht nicht viel kälter als zwanzig Grad gewesen ist. Das heißt, der Körper ist pro Stunde etwa 0,75 bis ein Grad abgekühlt. Ich habe eine Temperatur von 2.4,6 Grad gemessen und fortgeschrittene Leichenstarre in den kleineren Muskeln sowie beginnende Leichenstarre in den größeren festgestellt. Ausgehend von meiner Erfahrung habe
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