Tod in Lissabon
mich geirrt, bis er nach dem zwölften Klingeln abnahm und müde einwilligte, uns in einer halben Stunde zu empfangen. Wir stiegen in meinen schwarzen 1972er Alfa Romeo, der nicht, wie viele meinten, ein klassisches, sondern bloß ein altes Auto war, obwohl er anstandslos ansprang. Wir fuhren auf der Avenida Marginal nach Westen, Carlos von dem auf Olivias Größe eingestellten Sicherheitsgurt an den Sitz gefesselt.
Cascais hatte viele Fans, aber ich gehörte nicht dazu. Einst ein kleines Fischerdorf mit malerischen Häuschen an steil zum Hafen hin abfallenden Kopfsteinpflaster-Straßen, war es heute der Albtraum jedes Stadtplaners, es sei denn man übersah die zahllosen Bauprojekte, und dann lebte man ohnehin in einer Traumwelt. Cascais war eine Touristenstadt geworden.
Wir fuhren am Supermarkt und am Bahnhof vorbei, und eine elektronische Anzeigentafel informierte uns darüber, dass es acht Uhr fünfundfünfzig und achtundzwanzig Grad warm war und wir eine Versicherung abschließen sollten. Der Fischmarkt wurde für den Vormittag aufgebaut, vor dem Hotel Bahia stapelten sich Schüsseln mit Hummern und Krebsen. Die hässliche viereckige Festungsanlage auf der Landspitze beherrschte das Bild. Hinter dem Rathaus folgte ich einer kleinen Straße den Berg hinauf und bog auf einen von Bäumen gesäumten, schattigen Platz in der Altstadt ab, der die dunkle Kühle des Reichtums atmete. Dr. Oliveiras traditionelle zweistöckige Villa thronte wuchtig und still im atemlosen Morgen. Carlos Pinto schnüffelte wie ein Hund, der die Witterung des ersten potenziellen Bissens des Tages aufgenommen hat. »Kiefer«, sagte er.
»Wenn man den Fall von der Kiefernnadel her angeht, hat man in dieser Gegend eine Menge Arbeit, Agente Pinto.«
»Im Garten steht eine Kiefer«, stellte er fest.
Wir öffneten das Eingangstor und gingen an einer Säule aus roter Bougainvillea vorbei nach hinten durch. Die Kiefer war so groß, dass der ganze Garten im Schatten lag, um ihren Stamm ein dichter brauner Nadelteppich.
»Stellen Sie mal Ihren Fuß drauf«, sagte ich.
Carlos’ Schuh brach durch mehrere Zentimeter trockene Nadeln.
»Ich glaube nicht, dass man darauf jemanden umbringen und es so lassen …«
» Bom dia , Senhores«, sagte eine Stimme hinter uns. »Mit wem habe ich das Vergnügen …?«
»Wir haben Ihre Kiefer bewundert«, sagte Carlos, sich für den Part des Trottels entscheidend.
»Ich werde sie fällen lassen«, sagte der große, schlanke, aufrecht stehende Mann mit dem weißen pomadisierten Haar, das in Wellen aus der Stirn gekämmt war und sich am Kragen lockte. »Sie nimmt der Rückseite des Hauses jedes Licht und macht das Dienstmädchen trübsinnig. Ich nehme an, Sie sind von der Polícia Judiciária?«
Wir stellten uns vor und folgten ihm ins Haus. Er trug ein leichtes kariertes Hemd, eine graue Hose und braune Slipper. Er ging leicht gebeugt, die Hände hinter dem Rücken gefaltet wie ein nachdenklicher Priester. Der mit Parkett ausgelegte Flur war mit Porträts von Ahnen geschmückt, die über ihr dunkles Gefängnis deprimiert wirkten. Das Parkett setzte sich in seinem Arbeitszimmer fort, doch hier war es bedeckt mit ziemlich alten und wertvollen Teppichen aus Arraiolos. Der große Schreibtisch war aus Walnussholz, dahinter stand ein brauner Ledersessel, dessen Rückenlehne an den ausgebeulten Stellen speckig glänzte. Vier Lampenschirme, getragen von glänzenden, aus Gagat gemeißelten Frauengestalten, spendeten Licht. Die rote Bougainvillea vor dem Fenster verdunkelte die Sonne. Er lud uns ein, auf einem Sofa in einer von Bücherregalen gesäumten Ecke des Raumes Platz zu nehmen. Nur ein Anwalt konnte so viele Bücher mit gleichem Einband besitzen. Eine Ormulu-Uhr tickte, als könnte jedes Ticken ihr letztes sein.
Dr. Oliveira hatte es nicht eilig zu reden. Als wir Platz nahmen, setzte er eine Bifokalbrille auf und suchte auf seinem Schreibtisch nach etwas, das er nicht fand. Das Dienstmädchen kam herein und servierte Kaffee, ohne uns anzusehen. Auf einem Regal stand eingeklemmt zwischen einigen alten englischen Taschenbuchkrimis ein Foto des toten Mädchens.
Catarina Oliveira lächelte in die Kamera. Ihre blauen Augen waren weit aufgerissen, doch ihr Ausdruck passte nicht zu ihrem Mund. Irgendetwas versetzte mir einen kleinen Stich. Denselben Ausdruck hatte ich in Olivias Augen gesehen, als ich ihr erzählt hatte, dass ihre Mutter tot war.
»Das ist sie«, sagte Dr. Oliveira, und seine weißen Augenbrauen
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