Tod in Lissabon
ist es passiert, bis Teresa es herausgefunden hat?«
»Dreimal. Beim vierten Mal ist sie reingeplatzt.«
»War an dem Tag irgendwas anders als sonst?«
Seine Gesichtszüge wurden weich wie die eines kleinen Jungen.
»Verdammt«, sagte er und kniff sich in die Nase, »etwas war anders. Es war das erste Mal, dass es Catarina wirklich Spaß zu machen schien.«
»Sie hat Ihnen also nicht jedes Mal was vorgespielt?«, fragte Carlos.
Paulo starrte auf den Tisch, entschlossen, sich nicht provozieren zu lassen.
»Sie hat geschrien und irgendwie gelächelt. Aber sie hat nicht mich angelächelt, sondern an mir vorbei. Ich habe mich umgedreht, und in der Tür stand ihre Mutter.«
»Was hat Teresa gemacht?«
»Ich bin vom Bett gesprungen. Catarina hat sich aufgerichtet … sie hat nicht mal die Beine geschlossen, sondern ihre Mutter bloß angesehen und gelächelt. Teresa ist auf sie zugestürzt und hat ihr eine Ohrfeige gegeben, die geknallt hat wie ein Schuss.«
»Hat Catarina irgendwas gesagt?«
»Sie hat mit einer Kleinmädchenstimme gesagt: ›Tut mir Leid, Mami.‹«
»Und Sie?«
»Ich war wie nichts aus der Tür und die Treppe hinunter.«
»Sie haben Teresa nie wieder gesehen?«
»Nein.«
»Und Catarina?«
Er blickte kurz zur Schlafzimmertür, bevor er leise antwortete.
»Sie ist noch ein paar Mal vorbeigekommen. Das letzte Mal war im … März. Ja, im März … zwei Tage nach meinem Geburtstag am 17.«
»Ist sie vorbeigekommen, um mit Ihnen zu schlafen?«
»Konversation war es jedenfalls nicht.«
»Sie haben nicht miteinander geredet?«
»Sie ist direkt hier reinspaziert und hat sich ausgezogen.«
»Glauben Sie, dass sie unter Drogeneinfluss stand?«
»Schon möglich«, sagte er und zog den Kopf ein.
»Hat sie weiter Geld von Ihnen genommen?«
»Ja, bis ich irgendwann meine Brieftasche versteckt habe.«
»Hat sie das geärgert?«
»Sie hat nichts dazu gesagt.«
»Wie oft ist sie hierher gekommen?«
»Zehn-, zwölfmal.«
»Und warum ist sie nach dem 19. März nicht wiedergekommen?«
»Das ist sie schon. Aber ich habe sie nicht mehr reingelassen.« Er wies mit dem Kopf auf die Schlafzimmertür, und unsere Blicke folgten ihm.
Wenig später verabschiedeten wir uns und setzten uns ins Auto. Ein paar Minuten nach uns stürmte Paulo Brancas Freundin mit Schritten, die viel zu lang für ihre Beine waren, aus dem Haus. Sie stolperte auf hohen Absätzen über die calçada . Carlos nickte befriedigt.
Wir fuhren zurück zum Haus des Anwalts. Ich hatte einige Fragen an Teresa, doch Dr. Oliveira wollte uns nicht zu ihr lassen, bis sie in den Flur kam und uns hereinbat. Sie bewegte sich wie eine alte Frau und sprach langsam und undeutlich.
»Warum sind Sie an dem Tag, an dem Sie Catarina im Bett mit Paulo Branco überrascht haben, noch einmal zurück nach Hause gefahren?«
»Ich kann mich nicht erinnern.«
»Waren Sie nicht schon hier?«
»Doch.«
»Dann muss es doch etwas ziemlich Wichtiges gewesen sein, wenn Sie den langen Weg zurück nach Lissabon gemacht haben.«
Sie sagte nichts. Ich entschuldigte mich und stand auf, um zu gehen. Ihre Gesichtszüge sackten in sich zusammen.
»Ich bin zurückgefahren«, sagte sie so müde, dass sie die Worte kaum herausbrachte, »weil Catarina mich angerufen hatte. Sie sagte, sie hätte sich in der Schule verletzt.«
Wir drei tauschten einen Blick. Sie spreizte ihre Hände, wie um zu zeigen, wie einem das Leben mitspielen konnte.
»Das war das Ende von mir und Catarina.«
Wir fuhren schweigend zurück auf die 2a Circular, die Stadtumgehung von Lissabon. Dafür mochte ich Carlos. Es war nicht nötig, Fragen zu stellen, auf die keiner von uns irgendwelche Antworten hatte. Er wirkte nachdenklich, ein anderer Mann, nicht so gereizt wie der, den er am Strand und in Paulo Brancos Wohnung offenbart hatte. Ich bezweifelte, dass er viele Freunde hatte.
Der Gedanke, dass es in einer Familie so falsch laufen konnte wie bei den Oliveiras, machte mich regelrecht krank. Die Familie. Das stärkste portugiesische Zahlungsmittel. Unser Gold. Niemand in Europa verstand den Wert der Familie besser als wir, und das waren nicht bloß Relikte der Salazaristischen Propaganda. Waren das die ersten sichtbaren Risse im Fundament unserer Gesellschaft?
Wir fuhren zu einem riesigen Neubaugebiet namens Odivelas im Norden von Lissabon und kamen dabei an einer unserer aktuellen Ruhmeshallen vorbei: Colombo, das größte Einkaufszentrum Europas vis-a-vis einer älteren Attraktion,
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