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Tod in Lissabon

Tod in Lissabon

Titel: Tod in Lissabon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Wilson
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ich, und er zuckte die Achseln, selbst unsicher, was er eigentlich meinte. »Die einzigen Meinungsverschiedenheiten hatten wir über Olivias Erziehung. Darüber haben wir uns gestritten. Darüber hat sie mit meinen Eltern gestritten. Es war eine kulturelle Frage. Sie wissen ja, wie das in Portugal ist.«
    »Wir werden rund um die Uhr verhätschelt.«
    »Und vergöttert. Vielleicht haben wir eine romantische Sicht der Kindheit und glauben, es sollte eine goldene Zeit ohne Verantwortung und Druck sein«, sagte ich und dachte an die alten Diskussionen. »Wir verwöhnen unsere Kinder, lassen sie spüren, dass sie ein Geschenk für uns sind, und ermutigen sie in dem Glauben, sie seien etwas ganz Besonderes. Das mögen die Engländer nicht. Sie sind pragmatischer und nicht so nachsichtig … na ja, jedenfalls war meine Frau so.«
    »Und wie ist sie … Olivia?«, fragte er, sich an den Namen gewöhnend.
    »Es hat sich herausgestellt, dass eine englische Erziehung das Beste für sie war. Sie ist ein sechzehnjähriges Mädchen, das wirkt wie einundzwanzig. Sie kann sich um sich selbst kümmern. Sie kann sich um mich kümmern. Sie hat sich um mich gekümmert – so hat sie ihre Trauer bewältigt. Sie ist sehr gewandt im Umgang mit Menschen. Sie ist aktiv. Sie ist eine brillante Schneiderin. Das war das Hobby meiner Frau. Die beiden haben den ganzen Tag zusammen Kleider genäht und sich dabei unterhalten. Trotzdem weiß ich nicht, ob es das war, was ich eine Kindheit nennen würde. Manchmal hat es mich regelrecht verrückt gemacht. Als Olivia noch ein kleines Mädchen war, hat meine Frau ihr nicht zugehört, wenn sie nicht vernünftig geredet hat. Wenn sie kindlichen Unsinn plappern wollte, musste sie zu mir kommen, und das kommt manchmal zum Vorschein, wissen Sie … Sie muss sich ständig etwas beweisen, muss immer gut, immer interessant sein. Und diese eigenen hohen Ansprüche kann sie natürlich nicht immer erfüllen. Mein Gott, jetzt haben Sie mich ins Quatschen gebracht. Ich halte lieber den Mund, sonst kriegen Sie den ganzen Tag nichts anderes mehr zu hören.«
    »Mochte Ihre Frau die Portugiesen?«
    »Doch schon«, sagte ich. »Meistens.«
    »Was hat sie an uns Portugiesen wirklich gehasst? Es muss doch irgendwas geben, was sie wirklich gehasst hat?«
    »Dass die Fernsehsendungen nie pünktlich anfangen.«
    »Kommen Sie. Das kann doch nicht alles gewesen sein.«
    »Sie hasste portugiesische Männer in ihren Autos, vor allem diejenigen, die Gas geben, wenn sie sehen, dass sie von einer Frau überholt werden. Sie sagte, es wäre das Einzige, wo sie uns wirklich als Machos erleben würde. Sie hat immer gewusst, dass sie auf der Straße sterben würde – und so ist es gekommen.«
    »Ah.«
    »Sonst noch Fragen?«
    Keine.
     
    Teresa Carvalho, die Keyboarderin, wohnte mit ihren Eltern in einem Apartmenthaus in Telheiras, das auf der Karte nicht weit von Odivelas entfernt liegt, aber finanziell einen steilen Schritt nach oben bedeutet. Hierher zieht es einen, wenn sich auf der Milch eine erste Schicht Rahm gebildet hat. Abgeschirmte Gebäude in Pastelltönen, Sicherheitssysteme, Garagenstellplätze, Satellitenschüsseln, Tennis-Klubs, zehn Minuten Fahrt zum Flughafen und fünf Minuten zum Stadion und nach Colombo. Gut angeschlossen und angebunden, aber ziemlich tot dort draußen, als würde man über einen Friedhof mit lauter perfekten Mausoleen gehen.
    Die Carvalhos hatten das Penthouse. Der Fahrstuhl funktionierte. Ein angolanisches Hausmädchen ließ uns vor der Tür warten, während sie ging, um Senhor Carvalho unsere Ausweise zu zeigen. Dann führte sie uns in sein Arbeitszimmer, wo er uns, die stark behaarten Unterarme verschränkt, erwartete. Er trug ein rotes Polohemd von Yves Saint Laurent, aus dessen Kragen weitere Haare quollen. Auf seinem nussbraunen Schädel spross kein einziges Härchen, sein Schnauzer wirkte hingegen so kräftig, als müsste er ihn mit einem Bolzenschneider stutzen. Er wirkte unfreundlicher als ein Stier mit sechs bandarilbas im Rücken. Das Hausmädchen schloss die Tür mit einem ganz leisen Klicken, als könnte die kleinste Kleinigkeit die Aufmerksamkeit dieses wilden touros erregen.
    »Worüber wollen Sie mit meiner Tochter reden?«, fragte er.
    »Das scheint nicht der erste Besuch von der Polícia Judiciária zu sein«, sagte ich. »Hatte Ihre Tochter schon einmal Ärger?«
    »Sie hatte noch nie irgendwelchen Ärger, was die Polizei jedoch nicht davon abhält, ihr welchen zu

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