Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tod in Lissabon

Tod in Lissabon

Titel: Tod in Lissabon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Wilson
Vom Netzwerk:
dem beinahe bankrotten Benfica-Stadion. Wir verließen die 2a Circular, unterquerten sie und fuhren den Hügel hinauf. Auf der Kuppe hatten wir den besten Blick, den man auf Odivelas haben kann – zwanzig Quadratkilometer armselige Wohntürme mit einer Stoppelfrisur aus Fernsehantennen. Es war eine höllische Vision, das Elysium einer Baufirma. Sie zogen die Dinger binnen Wochen hoch – ein Skelett aus Beton, eine Haut aus dünnen Wänden, kein Fleisch – heiß wie ein Backofen im Sommer und eiskalt im Winter. Ich hatte darin nie atmen können, die Luft war einfach zu verbraucht.
    Wir stiegen in den vierten Stock eines Wohnblocks, der Teil einer Anlage war, der wiederum zu einem noch größeren Komplex gehörte. Dieser Wohnblock zählte zu den Originalen, der Rest waren Klone. Der Fahrstuhl funktionierte nicht. Bodenfliesen waren gesplittert oder fehlten ganz, an den Betonwänden zeichneten sich die Spuren getrockneter Feuchtigkeit ab. Hinter den Türen quakten Fernseher. Musik und der Geruch von Mittagessen schlugen uns entgegen. Ein paar Kinder drückten sich an den Wänden entlang an uns vorbei.
    Wir klopften an eine Papptür, hinter der wir den Lead-Gitarristen von Catarinas Band zu finden hofften. Der Mann, der die Tür öffnete, war dünn, hatte einen Schnauzer, der aussah wie schief angeklebt, und ähnlich dünnes, schlaffes Haupthaar. Er trug ein bis zum Bauchnabel aufgeknöpftes violettes Hemd mit kurzen Ärmeln. Seine Hand lag auf seiner Brust, wo er mit zwei nikotingelben Fingern über seine Härchen strich. Er wusste, dass wir von der Polizei waren.
    »Ist Valentim Mateus Almeida zu Hause?«, fragte ich.
    Der Mann drehte sich wortlos um. Wir folgten ihm durch einen schmalen Flur. Er klopfte im Vorbeigehen an eine Tür.
    »Valentim«, sagte er. »Die Polizei.«
    Er ging weiter in die Küche, in der eine übergewichtige Frau mit blondiertem Haar und einem um mehrere Größen zu engen türkisfarbenen Rock den Mittagstisch abräumte. Sie fragte ihn, wer an der Tür gewesen sei. Er sagte es ihr, und sie hielt geräuschvoll die Luft an. Wir klopften noch einmal an Valentims Tür. Valentim bat uns herein, ohne aufzublicken. Er saß auf dem Bett und spielte auf einer elektrischen Gitarre. Sein dichtes braunes, lockiges Haar hing in einem losen Zopf auf seinen Rücken hinab. Er trug Jeans und T-Shirt, war schmal, hatte olivfarbene Haut und große dunkle Augen über hohlen, unterernährten Wangen. Carlos schloss die Tür des engen Zimmers, in dem ein Bett und ein Schreibtisch standen, aber kein Bücherregal. Die Bücher lagen in Stapeln auf dem Boden, einige waren auf Englisch oder Französisch.
    »Dein Vater scheint sich ja nicht allzu viele Gedanken darüber zu machen, wer dich so besuchen kommt.«
    »Das liegt daran, dass er nicht mein Vater ist, nicht einmal mein Stiefvater. Er ist bloß das Arschloch, das zurzeit hier wohnt, damit meine Mutter sich nicht einsam fühlt … und keine Sorge, das habe ich ihr auch schon gesagt.«
    »Was?«, fragte Carlos.
    »Dass es besser ist, einsam zu sein, als mit einer Zecke zu leben, aber andererseits … Sie würde ihn abkratzen und sich dafür einen anderen anlachen. Das ist das Wesen von Zecken und denen, von denen sie sich ernähren.«
    »Studierst du Zoologie?«
    »Psychologie«, sagte er. »Mit der Zoologie lebe ich. Sie kriecht unter meiner Tür durch.«
    »Kennst du ein Mädchen namens Catarina Sousa Oliveira?«
    »Ja, die kenne ich«, sagte er und begann wieder seine Fingerübungen auf der Gitarre.
    »Sie ist tot. Ermordet.«
    Seine Finger stoppten. Er fasste die Gitarre am Hals und lehnte sie an einen Stuhl neben dem Bett. Er dachte nach, sammelte sich, doch er war auch geschockt.
    »Das wusste ich nicht.«
    »Wir versuchen, ihre letzten vierundzwanzig Stunden zu rekonstruieren.«
    »Ich habe sie nicht gesehen«, sagte er eilig.
    »Seit vierundzwanzig Stunden nicht?«
    »Nein.«
    »Hast du mit ihr gesprochen?«
    »Nein.«
    »Wann hast du sie zuletzt gesehen?«
    »Am Mittwochabend.«
    »Was ist da geschehen?«
    »Die Band hat sich getroffen, um über den Gig am Wochenende und die Proben am Freitag und Samstag zu reden.«
    »Gestern war Freitag«, sagte Carlos.
    »Danke, dass Sie mich dran erinnern. In Odivelas ist ein Tag wie der andere«, sagte er. »Am Mittwoch ist die Band auseinander gebrochen. Es hat keine Proben gegeben, und es wird auch keinen Auftritt geben.«
    »Warum ist die Band auseinander gebrochen?«
    »Musikalische Differenzen«, sagte er.

Weitere Kostenlose Bücher