Tod in Lissabon
Carlos.
»Welche Frage?«
»Die Band«, sagte ich in dem Versuch, Carlos zu beruhigen, der diese Zeugin anscheinend auch nicht besonders mochte, »wie kam es zu dem Bruch?«
»Mir hat die Musik nicht mehr gefallen.«
»Ich meine, wie genau. Hattet ihr einen großen Streit und seid dann alle auseinander gerannt? Oder gab es Fraktionen …«
»Ich weiß nicht, was die anderen gemacht haben. Ich habe einen Freund im Bairro Alto getroffen.«
»Das war aber nicht der Saxofonist?«, fragte ich, und sie erstarrte.
»Nein«, sagte sie so leise, dass wir uns vorbeugen mussten, um sie zu verstehen.
»Was macht er denn sonst noch, außer Saxofon spielen?«
Sie antwortete nicht, sondern hielt die Hand vor den Mund und schob den Daumennagel zwischen ihre Zähne.
»Dieser Saxofonist … ist er dein Dozent an der Uni?«
Sie nickte. Dicke Tränen bildeten sich unter ihrem lila Lidschatten.
»Du warst nicht bei ihm, nachdem sich die Band getrennt hatte?«
Sie schüttelte ihren violetten Kopf.
»Hast du ihn gesehen?«, fragte ich.
Sie schloss die Augen, und lila Tränen kullerten über ihre Wangen.
»Vielleicht hast du ihn später am Abend noch mit Catarina Oliveira gesehen?«
»Sie hat ihn mir weggenommen«, platzte sie schniefend heraus. »Sie hat ihn mir weggenommen.«
»Hat das Drogendezernat deshalb einen Anruf bezüglich eines Universitätsdozenten bekommen, der Ecstasy herstellt?«
Sie sprang auf, nahm ein paar Papiertaschentücher vom Schreibtisch ihres Vaters und verschmierte ihr Gesicht so gründlich, dass sie aussah, als wäre sie schwer verprügelt worden.
»Wo warst du gestern Abend?«
»In der Alfama bei der festa. «
»Wann?«
»Nachmittags war ich die meiste Zeit in meinem Zimmer und habe gearbeitet. Um sieben bin ich dann von Freunden abgeholt worden.
Sie haben mir noch immer nicht gesagt, was Catarina zugestoßen ist«, sagte sie.
»Sie ist gestern Abend ermordet worden.«
» Ich habe ihr nichts getan«, sagte sie rasch.
»Glaubst du, dass Valentim oder Bruno eine sexuelle Beziehung mit ihr hatten?«
»Bei Valentim bin ich mir sicher … er hat sie entdeckt. Bruno nicht. Er hatte Angst vor Valentim.«
»Entdeckt?«
»Er hat ihre Stimme gehört und sie in die Band geholt.«
»Und warum glaubst du, dass die beiden miteinander geschlafen haben?«
»Weil das Catarinas Art war.«
»Aber du weißt es nicht hundertprozentig?«
Sie blickte auf, um zu sehen, wie die Wahrheit ankommen würde.
»Nein«, sagte sie. »Hundertprozentig weiß ich es nicht.«
Wir standen auf.
»Sie werden dem Drogendezernat doch nichts von meinem Anruf erzählen?«, sagte sie.
»Wenn dein Dozent unschuldig ist, schon«, sagte ich. »Ist er das?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Und du?«
»Man versucht, mir anzuhängen, dass ich ihm im Labor assistiert habe, aber das stimmt nicht.«
»Und Verkauf?«
»Nein«, sagte sie und presste die Lippen zusammen.
»In Catarinas Blut wurden Spuren von Ecstasy gefunden.«
»Von mir hat sie es nicht. Ich habe ihr gar nichts gegeben.«
»Was ist mit Valentim und Bruno?«
»Nein«, sagte sie, eine knappe, knallharte, todsichere Lüge.
Ich bedachte sie mit einem langen Blick, dem sie nicht standhielt. Sie überlegte, wie sie die Situation retten, mich dazu bringen konnte, sie zu mögen. Das unbeliebte Mädchen. Die Betrügerin. Die Konservative, die sich in Lila und Schwarz verkleidet.
»Wenn man Catarina verstehen wollte«, sagte sie, »musste man sie singen hören. Sie hatte einen direkten Draht zum Schmerz.«
Es war der erste heiße Samstagnachmittag des Sommers, und wir fuhren durch ein leeres Lissabon. Wir nahmen die üblicherweise verstopften Hauptstraßen durch Campo Grande nach Saldanha zu dem riesigen Kreisverkehr zu Füßen des Marquês de Pombal und fuhren weiter Richtung Largo do Rato, der schweigend in der Hitze schmorte. Carlos redete wie ein Mann, der den Mund voller Nägel hatte und nicht genug davon ausspucken konnte.
»Auf chatas wie Teresa Carvalho kann die Welt gut verzichten«, sagte er. »Eine kleine senhorinha rica ohne Persönlichkeit, die sich als Grunge-Künstlerin verkleidet, während sie gleichzeitig ihre pipiwarmen salazaristischen Mittelklasse-Werte pflegt. Sie ist die Art höhere Tochter, die immer gekriegt hat, was sie wollte, und wenn sie etwas nicht kriegen kann, weil sie so eine Dumpfbacke ist, sorgt sie dafür, dass es auch sonst niemand bekommt. Sie verpfeift Leute, um ihren Hintern zu retten. Sie ist eine Lügnerin. Sie
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