Tod in Lissabon
geladener Pistole in Abrantes’ Haus. Er wartete schon lange, und darauf war er nicht vorbereitet gewesen. Er konnte nur begrenzt lange an Abrantes, das fehlende Wolfram und daran denken, wie er den Portugiesen über die Grenze bringen und ihn dort zwischen Geröll und Sträuchern mit einer Kugel im Kopf zurücklassen würde.
Hin und wieder kam Maria herein, zunächst mit Kaffee, später mit Essen und Wein. Sie wollte seine Aufmerksamkeit, doch er verweigerte sie ihr. Ihre Anwesenheit irritierte ihn, weil sie Gedanken auslöste, die er lieber hätte ruhen lassen. Der Blick, den sie ihm zugeworfen hatte, als sie den Engländer im Hof begraben hatten, fiel ihm wieder ein und damit auch der Nachmittag in der alten Mine. Er musste aufspringen und im Zimmer auf und ab laufen, um den Kopf wieder frei zu bekommen. Jetzt fragte er sich, warum er Maria genommen hatte und ob es allein dem Zweck gedient hatte, es Abrantes heimzuzahlen, wo er den Mann doch ohnehin töten würde.
In diesem Moment tauchte sie erneut auf, und das Wort »Vergewaltigung« schlich sich in seine Gedanken. Er erinnerte sich an den Kitzel, als er sanft in sie eingedrungen war, während ihre Blicke ängstlich über die Knöchel der Hand gezuckt waren, mit der er ihr den Mund zugehalten hatte. Doch dann hatte es sich zu etwas anderem entwickelt, und er hatte ihre Ferse auf seinem Hintern gespürt. In der nächsten Nacht war sie wiedergekommen, und es hatte ihn angeekelt. Er sagte ihr, sie solle in der Küche bleiben. Er dachte an andere Frauen. Er dachte an seine erste Frau, ein Mädchen, das eigentlich für seinen Vater auf den Feldern arbeiten sollte, das er jedoch schlafend in der Scheune erwischt hatte. Sie hatte gesehen, wie er auf die nackte Haut zwischen ihrem Strumpfband und ihrem Rock gestarrt hatte, und sich ihm hingegeben, damit er den Mund hielt.
Sie war noch immer die Einzige gewesen, als er als junger Mann in Berlin eintraf. Am Bahnhof las ihn ein Mädchen auf, was er für einen Bestandteil des wilden Stadtlebens gehalten hatte, bis er fertig war und sie ihr Geld verlangt hatte. Wofür?, hatte er gefragt. Ihre Lippen waren schmal und spitz geworden, und sie hatte ihren Zuhälter gerufen, der den kräftigen Bauernjungen mit einem Blick gemustert und ein Messer gezückt hatte. Felsen hatte bezahlt, sich verdrückt und im Hinausgehen gehört, wie der Zuhälter das Mädchen schlug. Willkommen in Berlin.
Der Himmel über Amêndoa zog sich zu, und der Regen prasselte auf die Dachziegel. Felsen rauchte und versuchte, sich mit der Erinnerung an alle Frauen zu unterhalten, die er je gehabt hatte, in der richtigen Reihenfolge. Wenn er eine vergaß, musste er wieder von vorne anfangen. Es dauerte eine Weile, bis er sich zu Eva vorgearbeitet hatte.
Er wollte nicht an sie denken, doch in dem beinahe dunklen Haus und nach ihrer kurzen Begegnung in Berlin wehte es seine Gedanken unwillkürlich über die Scherben ihrer Affäre wie Pulverdampf über ein Schlachtfeld. Er begann den langsamen Zerfall ihrer Beziehung zu erkennen. Von dem Moment an, als sie ihn nach ihrer Trennung wegen seiner Anschuldigung, sie würde ihm nur etwas vormachen, wieder zu sich gelassen hatte, bis zu jenem letzten Zusammensein in seiner Wohnung, bevor die Gestapo ihn am Morgen abgeholt hatte. Doch selbst in jener Phase entdeckte er Augenblicke, in denen sie sich wieder nahe gekommen waren, und er konnte noch immer die Stelle spüren, an der ihr Knie vor wenigen Abenden unter dem Tisch im Klub das seine berührt hatte. Er rieb darüber, als würde sie noch immer brennen.
Er zündete sich eine Zigarette an, und der Luftzug im Zimmer wehte den Qualm hierhin und dorthin, bis er ihn ganz zerstreut hatte. Er fragte sich, ob das Liebe war – diese eigenartig ätzende Säure im Magen, die einem dauerhafte Magengeschwüre bereitete, dieser Luftstau in der Lunge, der ihn zittern und das Blut in seinen Adern stocken ließ. Doch so war die Liebe seines Wissens nie beschrieben worden, und wie ein Mann, der sich über die Kante einer hohen Klippe ins weiße Wasser stürzt, kam er zu einem unvermittelten Schluss. Er war von der Intimität zum Verlust übergegangen, ohne die Liebe je kennen gelernt zu haben. Der Gedanke schnürte ihm die Luft ab, und er musste erneut im Zimmer auf und ab laufen, um sich von der Vorstellung zu befreien. Gierig zog er an seiner Zigarette, bis ihm von dem Nikotin schwindelig wurde, fuhr herum und trat durch die Tür in den stürmischen Nachmittag.
Der Wind
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